Spezielle Umstände verlangen manchmal nach speziellen Siegern. Mit Scherer Sport PHX gewann faktisch ein Privatteam die 52. Auflage der 24h Nürburgring, dem mit nur 50 Runden kürzesten Rennen in der Geschichte des Eifel-Klassikers. Profitierte die aus Phoenix Racing hervorgegangene Scherer-Mannschaft in den vergangenen Jahren stets von einer Werksunterstützung seitens Audi Sport, war die Mannschaft aus Meuspath dieses Jahr zumindest kostenseitig auf sich alleine gestellt.

Bekanntermaßen musste Audi Sport nach einem Vorstandsbeschluss im Juni 2023 seit Beginn dieses Jahres die bisherigen finanziellen Hilfen für Kundenteams einstellen. Dem Formel-1-Einstieg 2026 soll alles Weitere untergeordnet werden. Mit Nico Hülkenberg ließ sich immerhin ein künftiger Arbeitnehmer der Ingolstädter beim 24-Stunden-Rennen blicken, der F1-Fahrer flog allerdings zum Privatvergnügen ein. Vorstandsmitglieder oder Top-Manager von Audi blieben der Eifel diesmal zumindest in offizieller Funktion fern. Der Hauptverantwortliche für Audis Kundensport-Beben, Ex-CEO Markus Duesmann, hat das Unternehmen ohnehin verlassen.

24h Nürburgring 2024: Zusammenfassung und Highlights vom Rennen (09:41 Min.)

Ein Audi gewinnt das 24h-Rennen - Hersteller bleibt stumm

Dazu passte auffallend, dass Audi Sport seinen bereits siebten Gesamtsieg seit 2012 in keiner einzigen Zeile über seine sozialen Medien oder in einer Pressemitteilung erwähnte oder auf Konzernansage hin erwähnen durfte. Nicht einmal ein Pressefoto vom Rennen war auf der Audi-Medienseite zu finden.* In der Vergangenheit wurden die prestigeträchtigen Nürburgring-Erfolge durch die Teams Phoenix bzw. Scherer (2012, 2014, 2019, 2022), WRT (2015) und Land-Motorsport (2017) hingegen stets ausgiebig im Konzern sowie reichweitenstark in der Öffentlichkeit zelebriert.

"Die Herzen der Audianer und der Audi-Fans in aller Welt bluten. Sie wollen uns auch weiterhin in anderen Rennserien sehen", hatte Audis stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Karola Frank schon im März dieses Jahres Klartext gesprochen. Der frühere Audi-Sport-Geschäftsführer Dr. Sebastian Grams legte später gegenüber Motorsport-Magazin.com nach: "Ich finde es extrem unglücklich, dass man den Kundensport nicht parallel weiterbetreiben wollte, so, wie das andere Hersteller ebenfalls sehr erfolgreich machen."

Nürburgring-Duell 'David gegen Goliath'

Als 'David gegen Goliath' beschrieb das Team Scherer Sport PHX seine Leistung beim Eifel-Triumph. Teameigner Christian Scherer, Besitzer von zwölf Autohäusern und damit ein sehr wichtiger Partner von Audi, sagte nach dem Zieleinlauf: "Ein Traum geht in Erfüllung. Es würde sich besser anfühlen, wenn wir es über die gesamte Distanz erreicht hätten. Aber am Ende des Tages bin ich sehr stolz, weil wir als Privatteam gegen die werksunterstützten Teams gepunktet haben."

Ganz ohne Unterstützung erfolgte der Scherer-Sieg beim vorzeitig beendeten 24-Stunden-Rennen allerdings nicht: Audi Sport hat seinen Kundenteams weiterhin einen technischen Support zugesagt, im Fahrerlager waren etliche Mitarbeiter des Herstellers mit ihren roten Jacken, darunter Kundensportleiter Chris Reinke, zu sehen.

Für den Einsatz der Noch-Werksfahrer Frank Stippler, Ricardo Feller, Christopher Haase und Markus Winkelhock musste Scherer laut eigener Aussage kein Geld bezahlen. Mit Feller und Stippler gibt es ohnehin teameigene Verträge. Für die Ex-Audi-Fahrer Mies und Vervisch konnte Scherer unterdessen eine Freigabe von deren neuem Arbeitgeber Ford erwirken, musste das aber mutmaßlich aus eigener Tasche zahlen.

24h Nürburgring, #16 Scherer-Audi, Stippler, Mies, Feller, Marschall
Christian Scherer mit seinen Siegfahrern Ricardo Feller, Frank Stippler, Dennis Marschall und Christopher Mies, Foto: Gruppe C Photography

Frank Stippler weint nach drittem Nürburgring-Gesamtsieg

Wie emotional die auch Konzern-intern kritisierten Entscheidungen bezüglich Audi Sport wirklich sind, konnte man leicht in den Augen von Frank Stippler sehen. Dem 49-jährigen Nordschleifen-Veteran liefen nach seinem dritten Gesamtsieg (2012, 2019, 2024) Tränen über die Wangen. "Das war wahrscheinlich die letzte Chance, ein 24-Stunden-Rennen mit einem Audi zu gewinnen, weil sie sich aus dem GT-Sport zurückziehen und ich älter werde", sagte 'Stippi', dessen Werksvertrag Ende 2024 ausläuft. "Das zu schaffen im letzten Jahr mit Audi nach 21 Jahren und 16 Jahren mit Phoenix, könnte nicht besser sein."

Die persönliche Karriereplanung von Stippler, der im Jahr 2004 als Erprobungsfahrer zu Audi gestoßen war und 2005 sein DTM-Debüt gab, ist nicht bekannt. Dass sein Scherer-Team auch nächstes Jahr noch einmal mit einem Audi-R8-Aufgebot antritt, um die Titelverteidigung und den achten Rekord-Gesamtsieg anzupeilen, bleibt eine Möglichkeit.

Scherer schließt Nürburgring-Rückkehr mit Audi nicht aus

Ein weiteres Engagement mit den Audi R8 LMS GT3 evo II wollte Teamboss Christian Scherer trotz der ausbleibenden Audi-Unterstützung nicht ausschließen. "Wir werden in jedem Fall hier am Ring aktiv bleiben, eine Entscheidung, in welcher Konstellation, ist noch nicht gefallen", betonte Scherer zu Beginn des Wochenendes im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Wir sind in Gesprächen mit unterschiedlichen Herstellern."

Fakt ist: Die zweite Evo-Variante des Audi R8 LMS GT3 bleibt auf der Nordschleife eine sichere Bank. Das Auto ist vollends ausgereift, technisch zuverlässig, 'günstig' bei den laufenden Kosten und soll laut Experten das aktuell beste Gesamtpaket bieten - wenn die Balance of Performance passt. Mit Top-Fahrern wie Stippler oder Christopher Mies, die nun wie ihr Teamkollege Markus Winkelhock (P8 im #15 Scherer-Audi) auf drei 24h-Gesamtsiege zurückblicken können, muss man den Audi R8 immer auf dem Zettel haben - auch ohne zusätzliche Hilfe des Herstellers.

Wieso das Rennergebnis des 24h-Rennen Nürburgring 2024 bislang nur vorläufig ist und nach dem Protest von Rowe Racing ein langes Nachspiel haben könnt, lest ihr in diesem Hintergrund-Artikel:

* Anmerkung der Redaktion: Am Dienstag, 04. Juni um 14:02 Uhr - nach Veröffentlichung dieses Artikels - wurde der Sieg von Scherer Sport PHX im Rahmen eines allgemeinen Kundensport-Newsletters ("Zweiter 24-Stunden-Rennsieg eines Audi-Kundenteams in der Saison 2024 ) von Audi Sport kommuniziert, der wöchentlich erscheint