"Jorge ist sehr explosiv und kann in den ersten zwei bis drei Runden den Unterschied machen, mit gebrauchten Reifen fühle ich mich dann aber stärker." Nach dem Sprint am Samstag hatte sich Marc Marquez vor dem Australien-Grand-Prix ungewohnt angriffslustig gezeigt. War er zuvor stets um Understatement bemüht, war diesmal zu spüren, dass der MotoGP-Superstar im Hauptrennen auf Phillip Island einiges vorhatte. Und Marquez sollte mit seiner Ankündigung letztlich auch rechtbehalten. Nach einem packenden Zweikampf fing er Ducati-Rivale Jorge Martin auf den letzten Metern noch ab und feierte so tatsächlich seinen dritten Saisonsieg. Beinahe wäre es dazu aber gar nicht gekommen, denn beim Start erlebte Marquez am Sonntag einmal mehr ein Drama.

In den Live-Bildern war bereits vor dem Erlöschen der roten Lichter zu erahnen, dass sich Marquez in Problemen befand. Hektisch blickte er in der Startaufstellung von beiden Seiten an seiner Ducati GP23 herunter, griff einmal Richtung Boden. Beim Start selbst dann die Bestätigung: Marquez' Hinterrad drehte völlig durch, kurze Zeit stieg sogar Rauch auf. Nur sehr schleppend in die Gänge kommend, wurde der Gresini-Pilot auf den ersten Meter durchgereicht und fiel weit zurück. Die große Frage lautete natürlich sofort: Was war da passiert?

Abreißvisier bleibt unter Marc Marquez' Hinterreifen stecken

Die ersten Vermutungen, ein defekter Hinterreifen oder ein Problem mit dem Ride-Height-Device, entpuppten sich schnell als falsch. Denn die TV-Bilder klärten schon nach wenigen Runden im laufenden Australien-GP auf: Ein Abreißvisier war unter Marquez' Maschine stecken geblieben und sorgte so für das durchdrehende Hinterrad. Eine völlig skurrile Szene, die der 31-jährige Spanier nach Rennende selbst bestätigte.

"Das war eine unglückliche Situation. Im Grunde war es meine Schuld, aber ich hatte keine Wahl", begann Marquez auf der offiziellen MotoGP-Pressekonferenz nach den Ereignissen des Starts befragt und offenbarte anschließend: "Es ist keine feste Regel, aber wir Fahrer haben untereinander eigentlich vereinbart, keine Abreißvisiere in der Startaufstellung zu entfernen. Diesmal hatte ich aber keine andere Wahl, denn als ich das Front-Device eingelegt habe, ist ein fettes Insekt mittig auf meinem Visier gelandet. Ich konnte nichts mehr sehen und wusste, dass ich nach dem Start nicht genügend Zeit haben würde, das Tear-off vor Kurve eins zu entfernen, deshalb habe ich es gleich gemacht."

Soweit eigentlich kein Problem, doch dann spielte der starke Wind auf Phillip Island Marquez böse mit. "Ich dachte eigentlich, dass der Wind es wegblasen würde, aber es ist dadurch direkt unter meinem Hinterreifen gelandet. Ich habe das gesehen und dachte, dass es schon nicht so schlimm sein würde, aber das war es", kommentiert er rückblickend mit einem Grinsen im Gesicht. Dennoch weiß der achtmalige Champion: "Das war eine gefährliche Situation, es entstand viel Rauch. Ich habe nach dem Start nur versucht, mich nicht zu sehr zu bewegen, weil ich wusste, dass viele Fahrer von hinten kommen würden. Ich wollte einen Kontakt vermeiden."

Jorge Martin, Pramac Racing
Marc Marquez musste sich im Australien-GP zurück kämpfen, Foto: LAT Images

Marc Marquez kontert Startdrama mit Aufholjagd: Weiß selbst nicht wie!

Das klappte glücklicherweise, die MotoGP blieb nach der üblen Kollision zwischen Marco Bezzecchi und Maverick Vinales im Sprint von einem zweiten Horrorcrash an diesem Wochenende verschont. Marquez musste fortan aber wieder einmal zur Aufholjagd ansetzen. "Als ich in Turn 1 ankam und [Luca] Marini sowie ein paar Yamahas neben mir gesehen habe, sagte ich mir: 'Ich weiß nicht, wo ich genau bin, aber ich bin weit hinten!'", beschreibt der MotoGP-Superstar, der zwischenzeitlich bis auf Platz 13 zurückgefallen war, und lacht: "Nur zwei Kurven später war ich aber schon wieder Sechster. Ich weiß nicht, wie ich das gemacht habe, das muss ich mir nochmal anschauen."

Etwas Marquez-Magie in den ersten Kurven also, die den Grundstein für den restlichen Rennverlauf legte. Zu Beginn von Runde sechs lag der Spanier bereits wieder auf dem dritten Rang und näherte sich dann in großen Schritten dem Führungsduo an. "Ich habe zunächst nur an Pecco [Bagnaia] gedacht, denn ich wusste, dass ich ihn noch einholen würde", sagt Marquez. "Über Jorge habe ich hingegen nicht nachgedacht, weil er eine ähnlich starke Pace hatte wie ich. Dann habe ich aber gesehen, dass er seinen Hinterreifen gemanagt hat. Da habe ich mir gesagt, dass ich jetzt alles geben werde, um ihn auch noch einzuholen."

Erster echter Ducati-Sieg für Marc Marquez

Was folgte, war ein packender Zweikampf zwischen den beiden Ducati-Kundenpiloten. Auf das erste Manöver von Marquez hatte Martin dabei noch eine Antwort parat, beim zweiten Angriff musste sich der WM-Leader dann jedoch beugen. Nachdem Marquez in Aragon und Misano noch unter kuriosen Umständen gewonnen hatte, darf er nun seinen ersten 'echten' Sieg als Ducati-Fahrer bejubeln. "Dieses Wochenende war es an der Zeit, Risiko zu gehen. Das war eine der Strecken, auf denen ich eine Chance auf den Sieg hatte und die habe ich genutzt", freut sich die Startnummer 93 und schickt eine Warnung an seine Konkurrenten: "Wir haben jetzt noch drei Rennen und wollen versuchen, dieses Niveau aufrechtzuhalten."