Viele MotoGP-Fans hatten Langeweile befürchtet, als Promoter Dorna Sports ein zweites Rennwochenende in Misano als Ersatz für die abgesagten Grand Prix in Indien und Kasachstan ankündigte. Am Sonntag entpuppten sich alle Sorgen jedoch als unbegründet, denn 14 Tage nach dem packenden San Marino GP wurde auch das zweite Hauptrennen auf dem Misano World Circuit zum absoluten Thriller. Jorge Martin und Enea Bastianini bekämpften sich rundenlang um den Rennsieg, gipfelnd in einem der kontroversesten Momente der vergangenen Jahre.

Zu Beginn der 27. und letzten Runde wagte Enea Bastianini in Kurve vier nämlich ein 'Alles-oder-Nichts-Manöver' gegen den Führenden Jorge Martin. Ganz spät auf der Bremse setzte sich die Startnummer 23 auf der Innenbahn neben Martin, der bereits Kampflinie gefahren war. Es kam zum leichten Kontakt, beide Piloten gingen weit. Während Martin völlig von der Strecke und in die Auslaufzone geschickt wurde, konnte sich Bastianini gerade noch innerhalb der Begrenzungslinien halten. Zwischen T4 und T5 berührte er zwar kurzzeitig die blaue Zone, diese zählt an dieser Stelle allerdings nicht als Tracklimits.

Enea Bastianini boxt Jorge Martin von der Strecke

Dennoch rechnete im MotoGP-Paddock eigentlich jeder mit einer sofortigen Untersuchung durch die Stewards, da das Manöver von Bastianini doch sehr hart wirkte. Martin machte seinem Unmut sofort per Handgeste deutlich, direkt nach Zieldurchfahrt wiederholte er diese nochmal. Eine Untersuchung blieb jedoch aus, Bastianini durfte seinen Sieg behalten. Martin akzeptierte dies zwar und gratulierte seinem Ducati-Rivalen auf der Inlap per Handschlag, glücklich zeigte er sich mit der Entscheidung der Rennleitung allerdings nicht.

"Ich glaube nicht, dass da genug Raum war, um dieses Manöver zu machen", kommentierte er bereits wenige Minuten nach dem Zwischenfall im MotoGP-Format 'After the Flag'. "Es macht nicht viel Sinn, weiter darüber zu sprechen, weil es nichts mehr ändern wird, aber ich denke schon, dass ich diesen Sieg verdient gehabt hätte. Wenn er dieses Manöver versucht, hätte es wenigstens sauber sein sollen und er mir nicht berühren dürfen." Eine Ansicht, die Martin anschließend auf der offiziellen Pressekonferenz nochmal unterstrich: "Sein Move war etwas zu hart, er war neben der Strecke."

Jorge Martin ärgert sich nach Platz 2 in Misano
Jorge Martin machte seinem Unmut bei Zielankunft per Handgeste Luft, Foto: LAT Images

Rivale Bastianini sah das naturgemäß etwas anders. "Ich wusste, dass meine einzige Chance auf eine Attacke Kurve vier in der letzten Runde war. Er hat versucht, die Linie zuzumachen. Ich war etwas am Limit mit der Front, habe die Kurve aber bekommen und damit das Rennen gewonnen", erklärte er und ergänzte: "Es war nicht leicht, zu überholen. Aber wenn du eine Chance auf den Sieg hast, musst du es versuchen. Es war vielleicht etwas am Limit, aber die einzige Chance für mich. In Sektor drei war Jorge zu stark, speziell aus Kurve zehn heraus. Ich weiß nicht warum, aber am Ende der Gerade haben mir immer zwei bis drei Zehntel gefehlt. Das war also meine einzige Möglichkeit, um noch zu versuchen, das Rennen zu gewinnen."

Marc Marquez stützt Jorge Martin: Bastianini war neben der Strecke

Zuspruch bekam WM-Leader Martin, der sich mit einem Sieg in der Weltmeisterschaft nochmal um fünf zusätzliche Punkte vom gestürzten Francesco Bagnaia hätte absetzen können, ausgerechnet von MotoGP-Superstar Marc Marquez. Dieser kommentierte: "Ich habe das Replay gesehen. Enea war neben der Strecke. Meiner Meinung nach hätte er die Position also wieder zurückgeben müssen. Wenn du ein solch aggressives Manöver fährst und innerhalb der Strecke bleibst, ist das kein Problem. Wenn du aber von der Strecke abkommst, musst du die Position wieder zurückgeben. Ich stimme der Entscheidung daher nicht zu."

Durchaus eine überraschende Aussage, gilt Marquez doch selbst keinesfalls als ein Kind von Traurigkeit. Vielmehr hätten viele MotoGP-Fans Bastianinis Überholversuch wohl als ein typisches 'Marquez-Manöver' klassifiziert. Dass aber ausgerechnet jener Marquez dem Überholmanöver nicht zustimmte, sah Martin als weiteres Indiz für seine Benachteiligung. "Ich habe den Sieg dadurch verloren und wenn selbst Marc Marquez sagt, dass er die Position hätte abgeben müssen …", seufzte der Pramac-Pilot, der seinem Markenkollegen den grundsätzlichen Überholversuch jedoch nicht übelnehmen wollte: "Das war 'All-in' und Enea hat ja auch noch Chancen, um den Titel zu kämpfen. Für mich war nach Peccos Crash einfach klar, dass ich unbedingt ins Ziel kommen muss. In einer anderen Welt wäre es sonst vielleicht anders ausgegangen."

Jorge Martin fordert: Künftig keine Konsequenzen für gleiches Manöver

Hätte Martin ohne WM-Kampf also härter gegengehalten? Und wäre es dann womöglich zu einer richtigen Kollision gekommen? Wir werden es wohl nie erfahren. Klar ist jedoch, dass der Vorfall das Racing in den ausstehenden sechs Grand Prix des Jahres 2024 noch beeinträchtigen wird. "Die Ansätze der Rennleitung sind jetzt nicht mehr ganz so klar. Ich hoffe daher, dass es auch für mich keine Konsequenzen haben wird, wenn ich in Zukunft etwas Vergleichbares mache", kündigt Martin an und hofft somit auf 'Wiedergutmachung' in den restlichen Rennen. Den Vorfall selbst will er damit abhaken: "Ich bin kein Fahrer, der so überholt. Ich respektiere die Entscheidung jedoch und werde jetzt weitermachen."

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