Im internationalen Automobil-Verband FIA ist die Stimmung endgültig gekippt, und mittlerweile gehen die Streitereien weit hinaus über solche (letztendlichen) Nichtigkeiten wie Geldstrafen in der Formel 1. Nach einem Eklat bei der letzten Sitzung des Motorsport-Weltrates reitet der mächtige britische Motorsport-Verband Motorsport UK nun eine öffentliche Attacke gegen FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem. Rechtliche Schritte stehen im Raum.

Dieser direkte Angriff stammt aus der Feder des Motorsport-UK-Vorsitzenden David Richards. Richards, einst zeitweiliger F1-Teamchef von BAR-Honda sowie langjähriger Chef des Prodrive-Teams, hatte bei der letzten Präsidentschaftswahl 2021 Ben Sulayems Kandidatur unterstützt. Doch eine Serie an Zerwürfnissen haben sein Vertrauen in die FIA-Führung erschüttert.

Motorsport-Magazin.com-Redakteur Christian Menath im Gespräch mit FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem beim Grid zum USA-GP
FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem ist Zentrum der Kritik, Foto: IMAGO / Pro Shots

Kritik an Mohammed Ben Sulayem: Lange Liste an FIA-Versäumnissen

Richards' Meinung zu Ben Sulayem hatte sich über die letzten drei Jahre sukzessiv verschlechtert. So legt er es in einem zweiseitigen offenen Brief dar, den Motorsport UK in einer Spezial-Ausgabe seines monatlichen Magazins 'Revolution' veröffentlichte.

So nennt Richards dort die Entlassungen und Kündigungen von erfahrenen Offiziellen, und das Beschneiden der Prüfungs- und Ethikausschüsse, welche in seinen Augen nun nicht mehr ausreichend abgegrenzt von der Autorität des Präsidenten sind. Als der britische Vertreter sich gegen Änderungen sperrte, wurde er zusammen mit dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses entfernt.

Was das Fass nun aber zum Überlaufen brachte, waren eine Serie an Krisen im Motorsport-Weltrat (WMSC). Zuerst fürchtete Richards eine Unterminierung von Diskussionen durch die Bemühungen, tatsächliche Treffen durch immer mehr virtuelle Abstimmungen (sogenannte "E-Votes") zu ersetzen. Dann kam der Vorlauf zur jüngsten Sitzung des Weltrates am 26. Februar. Vor drei Wochen wurden die Mitglieder aufgefordert, eine neue Vertraulichkeitserklärung zu unterzeichnen.

Eklat um Maulkorb bei letzter Sitzung vom Motorsport-Weltrat der FIA

Kurz zur Erklärung: Im WMSC sitzen der FIA-Präsident, der stellvertretende Präsident für Sport, die FIA-Vizepräsidenten, sowie eine Auswahl an erfahrenen Offiziellen und Leiter diverser FIA-Komitees. Das WMSC dient dazu, um unter anderem von allen FIA-sanktionierten Rennserien (einschließlich der Formel 1) vorgelegte Änderungen an Reglements noch einmal zu debattieren und final abzusegnen.

Richards bezeichnet die neue Vertraulichkeitserklärung unumwunden als "Maulkorb-Erlass". Grundsätzlich hat er kein Problem mit Vertraulichkeit - aber für den WMSC gab es schon davor Bestimmungen. Ab jetzt wäre aber ohne weitere Qualifikation alles, was im WMSC besprochen würde, vertraulich. Ein Bruch würde allein von der FIA - ohne Referenzrahmen - entschieden, und würde in einer sofortigen Strafe von 50.000 Euro und in einer Androhung weiterer nicht näher spezifizierter Schadenersatz-Forderungen münden.

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Für Richards waren diese neuen Vorschreibungen ein Verstoß gegen die FIA-Statuten. Daraufhin forderte er eine Debatte im WMSC. Das wurde abgelehnt und ihm übermittelt, dass eine Teilnahme am WMSC ohne Unterschrift nicht mehr erlaubt wäre. So wurde es auch durchgesetzt: Am 26. Februar unterband man die Teilnahme von Richards und anderen WMSC-Mitgliedern, die sich ihm angeschlossen hatten.

Motorsport UK kommt mit Anwälten, Ben Sulayems FIA-Präsidentschaft gefährdet

Die FIA hatte in Reaktion auf einen Bericht der BBC über den WMSC-Eklat schon am 26. Februar in einer Stellungnahme wissen lassen, dass die neuen Maßnahmen "von einer Super-Mehrheit der WMSC-Mitglieder überwältigend unterstützt" wurden. Richards hingegen sieht den Sinn nicht: WMSC ist nicht gleich Ethik- oder Prüfungs-Komitee, wo Vertraulichkeit großgeschrieben werden sollte. Im WMSC "diskutieren wir nur selten Dinge, die nicht offen mit unseren Mitgliedern und Clubs sowie mit der weiteren FIA-Umgebung geteilt werden sollten."

Motorsport UK aktivierte daraufhin Rechtsbeistände und Anwälte. In seinem offenen Brief zählt Richards das FIA-Vorgehen an: "Wir haben die FIA informiert, dass wir weitere rechtliche Schritte setzen werden, wenn sie die angesprochenen Probleme nicht adressieren." Er sieht es als seine Pflicht, den britischen Verband öffentlich und transparent darüber auf dem Laufenden zu halten: "Unser Führungsteam ist stets offen und transparent, damit unsere Mitglieder uns vertrauen und respektieren."

Richards erinnert daran, dass Ben Sulayem 2021 in seinem Wahlkampf mit dem Versprechen von einer neuen transparenten, offenen und verbesserten Regierungsstruktur um Stimmen geworben hatte: "Über die letzten drei Jahre scheiterte man eindeutig, diese Versprechen einzuhalten. Tatsächlich wurde die Situation sukzessive schlechter."

Schließlich mahnt Richards noch, dass sich Ben Sulayem wohl mit seinem Vize-Präsidenten vor Sport, Robert Reid, zerstritten hat. Reid wurde zuletzt immer mehr von Meetings und vom Besuch von Weltmeisterschaften ausgeschlossen, auch Zugang zu Materialien wurde ihm verwehrt. Zur Vollständigkeit sei angemerkt: Reid, ein ehemaliger Rallye-Beifahrer, war früher unter anderem für Richards bei Prodrive angestellt gewesen.

Die jüngsten Entwicklungen ziehen die Zukunft von Ben Sulayem als FIA-Präsident immer weiter in Zweifel. Ende des Jahres endet seine erste Amtszeit. Bisweilen hat noch niemand sonst Interesse an einer Kandidatur für die nächste Wahl bekanntgegeben. Doch ob das bei den anhaltenden Disputen so bleibt, scheint immer unwahrscheinlicher zu werden.