Die Formel 1 wird den 5. Oktober 2014 nie vergessen. An einem verregneten Spätnachmittag verunfallte Jules Bianchi beim Japan-GP in Suzuka schwer. Sein Auto schlitterte bei Starkregen in einen Bergekran, der in eine Auslaufzone eingefahren war. Bianchi starb am 17. Juli 2015 schließlich an den Folgen. Das hinterließ in Sachen Sicherheit Spuren.

Schließlich war Bianchi der erste F1-Fahrer, der in über 20 Jahren an einem Rennwochenende tödlich verunglückte. Der Automobil-Weltverband FIA lancierte wie bei jedem Unfall üblich eine Untersuchung. Das Fazit: Wasser floss an der Stelle des Kontrollverlusts neben der Ideallinie. Trotz doppelgelber Flaggen für die im Laufen begriffene Bergung eines an der Stelle bereits verunfallten Fahrzeugs verlangsamte Bianchi nicht ausreichend. Das führte zu einem Kontrollverlust, und schließlich zu einem Einschlag in den Bergekran mit 130 Km/h.

Das Virtuelle Safety Car: Direkte Folge des Unfalls von Jules Bianchi

Die erste, und vielleicht wichtigste, Erkenntnis aus diesem Unfallhergang war, dass das Verhalten von Fahrern bei doppelgelber Flaggen oft nicht ausreichend war. Eigentlich verlangt das Reglement bei denen, dass man signifikant verlangsamt, nicht überholt, und stets bereit ist die Richtung zu ändern oder zu stoppen. Um hier härter durchzugreifen, schlug der Unfallbericht die Einführung von Tempolimits vor.

Die FIA handelte schnell. Schon vier Wochen nach dem Unfall wurde ein neues System im Training getestet, und ab 2015 eingeführt. Es handelt sich aber um kein Tempolimit, sondern um das "Virtuelle Safety Car". Das gibt dem Fahrer Delta-Zeiten vor. Für eine Runde gibt es eine Referenzzeit. Die wird am Lenkrad angezeigt, und der Fahrer darf sie nicht unterbieten. Diese Regeln gelten inzwischen auch beim Ausrufen eines echten Safety Cars oder einer roten Flagge.

Das VSC ist direkte Folge des Bianchi-Unfalls, Foto: Sutton
Das VSC ist direkte Folge des Bianchi-Unfalls, Foto: Sutton

Dass es kein fixes Tempolimit gab, sorgte 2022 ausgerechnet bei einem verregneten Japan-GP für Ärger. Die Regel bedeutet, dass jemand, der anfangs etwa durch einen Boxenstopp langsam in die Runde startet, ein Zeitpolster aufbaut und danach schneller fahren kann. Pierre Gasly fuhr so unter Safety Car mit hohem Tempo an einem auf der Strecke stehenden Bergekran vorbei.

2023 wurde eine Zusatz-Regel ergänzt. Wer unter VSC oder Safety Car eine Stelle passiert, an der zusätzlich doppelgelbe Flaggen geschwenkt werden, muss sich in dieser Zone an eine separate Delta-Zeit halten. Die gilt nur in diesem Bereich.

Erzfeind der modernen Formel 1: Regen, Zeitlimit, und Spa 2021

Mehrere Punkte im Bianchi-Bericht betrafen das Wetter. Besseres Abflusssystem, Untersuchung der Reifen, Nachdenken über Startzeiten und Regen, um schlechte Lichtverhältnisse vorzubeugen. In Sachen Startzeiten rückte die Formel 1 in den Jahren danach sogar noch weiter nach hinten. Das hatte zur Konsequenz, dass 2021 die maximale GP-Dauer (inklusive roter Flaggen) von 4 auf 3 Stunden verkürzt wurde.

Die Regen-Probleme nahmen aber technisch gesehen nur noch weiter zu. Wie bereits in Japan 2014 ist es nicht nur stehendes Wasser und Aquaplaning, sondern die Gischt und die Sicht. Die Vorsicht hat seitdem zugenommen. Das kulminierte in Spa 2021. Wegen der Sicherheit wagte es die Rennleitung nicht, das Rennen freizugeben. Das Rennen steht mit nur 6,88 hinter dem Safety Car zurückgelegten Kilometern nach stundenlangem Warten als kürzester Grand Prix aller Zeiten in den Geschichtsbüchern.

Sicherheitstechnisch zweifelt niemand die Spa-Entscheidung an, aber sportlich war es ein Desaster. Die Ursachen sind bis heute nicht gelöst. Zum einen können die Teams Pirellis Regenreifen nicht leiden. Das wurde auch 2022 in Japan offensichtlich. Trotz grenzwertiger Bedingungen setzten die Teams stur auf Intermediates. Aber selbst wenn man mit Regenreifen fahren würde, so wäre die Gischt inzwischen untragbar.

Mittels sogenannter "Spray Guards" testete man zuletzt einen Lösungsansatz - montierbare Regen-Kotflügel. Das Projekt wurde mangels Erfolgsaussichten auf Eis gelegt. Zu viel Wasser wird von Unterboden und Aerodynamik aufgesaugt und hochgeschleudert. So ist die FIA bei dem Thema aktuell zurück am Zeichenbrett. Starkregen bleibt für die Formel 1 ein Problem. Die jüngsten Regenreifen-Entwicklungen gibt es hier:

Formel 1 entscheidet gegen Dach - und für Halo

Sofort nach Bianchis Unfall war das Thema Cockpitschutz in aller Munde. Die Idee, Formel-1-Autos ein Dach aufzusetzen, wurde allerdings vom Unfallbericht selbst relativiert. Ein 700 Kilogramm schweres Auto traf einen 6.500 Kilogramm schweren Kran mit 130 Km/h. Keine Gleichung, in der es strukturell möglich ist, das Cockpit auf irgendeine Weise abzusichern. Jede Abdeckung wäre bei dem Aufprall kaputtgegangen. Genauso hätte Polsterung am Kran nicht geholfen.

Dieses Fazit bedeutete aber keinesfalls das Ende des Cockpit-Schutzes. Der war nämlich schon viel länger in Arbeit, aufgrund von anderen Unfällen. Juli 2009 war ein tragischer Warnhinweis. Innerhalb von wenigen Tagen starb erst F2-Pilot Henry Surtees, nachdem er von einem Rad am Kopf getroffen wurde. Dann wurde F1-Pilot Felipe Massa in Ungarn von einer Feder am Kopf getroffen und schwer verletzt.

Die Gefahr solcher Direkttreffer auf den in einem Formelauto exponierten Fahrer konnte also schon lange nicht mehr ignoriert werden. 2011 waren zehn Konzepte in die erste Designphase gestartet. Drei gingen 2016 in die Erprobungsphase: Halo, Shield und Aeroscreen. Nur der Halo überstand im Labor alle Härtetests. 2018 wurde er eingeführt, inzwischen ist er auf fast allen Formel-Rennwägen zu sehen. Mehr zu den technischen Details gibt es hier:

Formel 1 besteht Härtetests durch Grosjean-Feuerunfall und Co.

Jules Bianchi ist der letzte tödliche Unfall der Formel 1. Die Sicherheitsverbesserungen der letzten Jahre haben das Risiko noch weiter verringert. Direkte Folgen von Japan 2014 sind das aber nur bedingt. Japan 2022 blieb der F1 auch frisch im Gedächtnis. Die Fahrer waren danach baff, dass noch immer Bergefahrzeuge und Streckenposten bei so schwierigen nassen Bedingungen auf die Strecke geschickt wurden, ohne dass davor das Rennen komplett abgebrochen wurde. In dem Fall war es nämlich tatsächlich die Strecke - nicht nur die Auslaufzone. Selbst unter VSC oder Safety Car ist die Unfallgefahr hoch.

Die größte Errungenschaft bleibt der Halo - auch wenn der mit dem Bianchi-Unfall nichts zu tun hat und dessen Ausgang kaum zu ändern vermocht hätte. Doch als Sicherheitsfeature ist er seit 2018 nicht mehr wegzudenken. Mehrere brenzlige Situationen gab es seither, in denen der Halo Direkttreffer wegsteckte.

Aber nichts unterstrich den Wert des Halo so deutlich wie die Unfälle von Romain Grosjean und Zhou Guanyu. Grosjean durchschlug 2020 in Bahrain eine Leitplanke, das Auto ging in Flammen auf - und der Fahrer entkam lediglich mit Verbrennungen. Bei Zhou zerbarst bei einem Überschlag 2022 in Silverstone der Überrollbügel beim Aufprall auf den Asphalt. Aber der Halo hielt.

Der Halo schützte Grosjean beim Durchschlagen der Leitplanken, Foto: LAT Images
Der Halo schützte Grosjean beim Durchschlagen der Leitplanken, Foto: LAT Images
Der Halo schütze Zhou trotz kollabiertem Überrollbügel, Foto: LAT Images
Der Halo schütze Zhou trotz kollabiertem Überrollbügel, Foto: LAT Images

Auch diese Unfälle hat die FIA eingehend studiert. Die Suche nach Verbesserungen steht nie still. Ob es sich nun um dickere feuerfeste Kleidung handelt, oder um neue Regeln für die Überrollbügel.