Gerne kommen Autohersteller mit spektakulären Plänen in die Formel 1. Man denke nur an Renault und die Ansagen, in einhundert Rennen oder in fünf Jahren an die Spitze zu kommen. Dass es in den letzten acht Jahren zwei Pläne und nur einen Alpine-Sieg gibt, sagt viel über die Herausforderung F1 aus. So hütet sich der deutsche Neueinsteiger Audi im Angesicht schwieriger Umstände vor großen Ansagen.
"Uns ist bewusst, dass es ein mehrjähriges Programm sein wird", räumt Audis neue Projektchef Mattia Binotto ein. Der ehemalige Ferrari-Teamchef ist seit August sowohl für das Motorenprogramm des ab dem Reglementswechsel 2026 werksseitig antretenden Herstellers verantwortlich als auch für das Einsatzteam Sauber. An beiden Fronten ist es noch ein sehr weiter Weg, ehe man um Siege kämpfen kann.
"Wir haben die Diskussion darüber begonnen, wie ambitioniert wir sein können, aber die ist noch nicht fertig", erklärt Binotto. "Wir werden es im nächsten Monat haben, nach der Reevaluierung des tatsächlichen Management-Teams, und uns dann Informationen zurechtlegen." Erst recht, nachdem er gerade erst das Ruder von dem erst im Juli abservierten alten Management rund um Andreas Seidl und Oliver Hoffmann übernommen hatte. Ursprünglich hätte Seidl das Projekt aufbauen sollen.
"Nach ein paar Wochen kannst du nicht alles sehen", weiß Binotto. Trotzdem hat er bei seinen ersten Besuchen am Motorenstandort Neuburg an der Donau sowie in der Sauber-Fabrik im schweizerischen Hinwil jetzt schon ein erstes Gefühl für die Lage.
Sauber mit großem Rückstand: Binotto warnt vor F1-Zeitplänen
Aktuell liegt Sauber als einziges Team mit null Punkten auf dem letzten Platz in der Konstrukteurs-WM. Das Auf-Vordermann-Bringen lief zuletzt schleppend voran. So stellt Binotto besonders im Hinblick auf Hinwil fest: "Wir müssen in Sachen Leuten, Organisation, bei Werkzeugen, Prozessen, Methodologien und Anlagen nachlegen."
Es ist wohlbekannt, dass das Sauber-Projekt ein schwieriges ist. Seit BMW sich Ende 2009 als Werkspartner aus Hinwil zurückzog, waren die Mittel knapp. Langfristig bedeutet das zwangsweise, dass man nicht mehr so regelmäßig wie die Spitzenteams die Infrastruktur erneuern kann. Und der Personalstamm ist viel kleiner.
Auch deshalb beschloss Audi zuletzt, die Übernahme von Sauber deutlich zu beschleunigen und schon bis spätestens zum ersten Quartal von 2025 - also bereits ein Jahr vor dem tatsächlichen Einstieg - 100-prozentiger Eigentümer zu sein. Das macht es einfacher, in Infrastruktur und Personal zu investieren. Doch auch ein Jahr ist für einen F1-Wandel kein Zeitfenster.
Mercedes und Red Bull benötigten je vier Jahre und einen Reglementswechsel, um sich als ernsthafte WM-Aspiranten zu etablieren. McLarens Neuaufbau nach dem Kollaps der Jahre 2017 und 2018 dauerte fast sechs Jahre. Und Binotto, der 1995 als junger Ingenieur bei Ferrari begann, kann noch weiter zurückgehen: "Jean Todt war seit 1993 dort. Aber der erste Konstrukteurs-Titel kam 1999, der erste Fahrertitel 2000."

Tatsächlich brauchte auch Jean Todt als Ferrari-Teamchef gut vier Jahre, von 1993 bis 1997, um Ferrari per Reorganisation an die Spitze zu bringen. In diesem Zeitraum stellte er enorm viel am Team um, holte nicht zuletzt neue Techniker und mit Michael Schumacher einen Top-Piloten. Unter diesen Gesichtspunkten wäre jede Ansage von Audi, vor 2030 um Titel kämpfen zu wollen, äußerst ambitioniert. Binotto, sich dem bestens bewusst, hält sich entsprechend zurück.
Sauber & Audi an unterschiedlichen Standorten: Projekt muss zusammenwachsen
Erst recht, weil es für Audi und Sauber noch eine große Hürde gibt. Auto und Motor werden an zwei separaten Standorten gebaut. Das ist für Binotto, der seine 28-jährige F1-Karriere vor dem Audi-Wechsel exklusiv bei Ferrari verbrachte, eine ganz neue Erfahrung. In Maranello hatte er das ganze Team, Motor und Chassis, unter einem Dach.
"Ich bin hier, um die zwei Seiten zu verbinden und die Leute in ihrem Job zu unterstützen", stellt Binotto klar. "Wir bereiten zum Beispiel eigene Räume vor, um Führungs-Konferenzen abzuhalten. Wir organisieren Logistik, um für Meetings von einem Ort zum anderen zu kommen, und versuchen das zugleich auf ein Minimum zu reduzieren, weil es sehr zeitaufwändig ist."
Die Coronavirus-Pandemie zeigt für Binotto ohnehin, dass es zumindest in Sachen Abläufen kein Problem ist, so ein Team zu managen: "Es geht mehr darum, eine gemeinsame Vision, ein gemeinsames Mindset und einen gemeinsamen Ansatz zwischen den Mannschaften zu erzeugen, damit wir klare gemeinsame Ziele haben. Es sollen keine zwei Seiten, sondern eine große Familie sein."
Alpine -Renault - mit dem Rennteam im britischen Enstone und der Motorabteilung in Viry - ist ein berühmtes Beispiel dafür, wie wichtig das ist. Jahrelang gaben sich die Standorte immer wieder gegenseitig die Schuld an schwachen Leistungen. Die Geschichte hat ein bitteres Ende: Renault wird mit Ende 2025 wohl das F1-Projekt in Viry abdrehen und Alpine als Mercedes-Kundenteam weiterlaufen lassen.
"In all diesen Belangen müssen wir einfach Schritt für Schritt die richtigen Entscheidungen treffen", lautet Binottos Fazit. "Die richtigen Lösungen suchen und klare Ziele vor uns haben. Dann können wir in ein paar Jahren wirklich ein Siegerteam und eine Benchmark in der Formel 1 werden." Auch beim Motor steht noch viel Arbeit an, schätzt Binotto. Mehr dazu hier:
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