Der 13. Juli 2014 dürfte vielen deutschen Sportfans auf ewig in Erinnerung bleiben. Hauptsächlich, weil sich die deutsche Nationalmannschaft an diesem Tag mit einem 1:0-Sieg nach Verlängerung gegen Argentinien zum vierten Mal zum Fußball-Weltmeister krönte. Doch auch in der MotoGP passierte an jenem Sonntag Außergewöhnliches. Ein Wetterwechsel kurz vor dem Start ließ Stefan Bradl beinahe allein im Grid zurück, die Toppiloten tummelten sich in der engen Boxengasse. Es war nicht weniger als eine der verrücktesten Startphasen aller Zeiten. Motorsport-Magazin.com blickt auf diesen denkwürdigen Tag zurück.

Regenschauer kurz vor Start: Chaotische Gridphase am Sachsenring

0,180 Sekunden zwischen Jack Miller und Brad Binder, 91 Tausendstel zwischen Dominique Aegerter und Mika Kallio - der Deutschland Grand Prix hatte 2014 bereits zwei absolute Kracher in Moto3 und Moto2 geliefert, als sich gegen 13:30 Uhr auch die Topstars der Motorrad-WM auf ihr 30 Runden umfassendes Rennen vorbereiteten. Die Aufgabe konnte dabei kaum schwieriger sein, denn kurz zuvor hatte ein kurzer, leichter Regenschauer über den Sachsenring gefegt. Pünktlich zur Öffnung der Boxengasse stoppte dieser zwar wieder, aber der Asphalt war noch gefährlich nass an diesem ansonsten warmen Sommertag in Ostdeutschland.

Im MotoGP-Grid herrschte Unruhe, speziell bei LCR wurde hektisch gearbeitet, Foto: LCR Honda
Im MotoGP-Grid herrschte Unruhe, speziell bei LCR wurde hektisch gearbeitet, Foto: LCR Honda

Alle Piloten bestritten die Sichtungsrunde mit Regenreifen. Im Grid angekommen brach Unruhe aus, die Spannung war förmlich greifbar. Da die Rennleitung das Rennen bereits zum 'Wet Race' ausgerufen hatte, rechnete fast jeder mit einem packenden Flag-to-Flag-Rennen samt frühem Bikewechsel auf Slicks. Hingen die Wolken anfangs noch tief über dem Sachsenring, ließ sich gut zehn Minuten vor Rennstart die Sonne immer stärker blicken. Die Strecke trocknete wieder auf, allerdings nicht überall. Im Infield etwa oder in der Sachsenkurve kamen kaum Sonnenstrahlen an, weshalb der Asphalt feucht blieb.

Regenreifen oder Slicks? Würden einige Piloten Risiko gehen? Die letzten Minuten vor dem Rennstart waren von Hektik und Anspannung geprägt. Auf den Tribünen und zuhause vor den Fernsehern warteten die Zuschauer gespannt auf die Veröffentlichung der Reifenliste von Einheitshersteller Bridgestone. Und dann es gab sie tatsächlich! Drei Piloten würden gambeln. Hiroshi Aoyama, Karel Abraham - und Lokalmatador Stefan Bradl, der sich auf dem dritten Startplatz qualifiziert hatte. Sie hatten nach der Sichtungsrunde im Grid allesamt auf Slickreifen gewechselt und hofften, damit den Sechser im Lotto zu ziehen.

14 Piloten in der Boxengasse: Stefan Bradl pokert sich in Führung

Und tatsächlich: Zunächst sah auch alles danach aus. Denn schon in der Aufwärmrunde zeigte sich, dass die Strecke weitestgehend getrocknet war. Die Slicks waren die richtige Wahl, was auch die restlichen Piloten erkannten. Nicht weniger als 14 Fahrer bogen am Ende der Warm-Up-Lap in die Boxengasse ab, um das Motorrad zu wechseln und vom Ende der Pitlane in den Deutschland Grand Prix zu starten. Absolutes Chaos brach aus, plötzlich tummelten sich 14 MotoGP-Stars mit ihren Bikes auf rund 25 Quadratmetern.

In der Boxengasse herrschte zum Rennstart Hochbetrieb, Foto: MotoGP.com/Screenshot
In der Boxengasse herrschte zum Rennstart Hochbetrieb, Foto: MotoGP.com/Screenshot

Auch in der Startaufstellung entstand dadurch ein völlig konfuses Bild. Denn dort standen nur noch neun der eigentlichen 23 Piloten. Besonders kurios: In den ersten fünf Startreihen war einzig der Deutsche Stefan Bradl vorzufinden, erst in Reihe sechs folgten Aoyama und Abraham. Noch weiter hinten sortierten sich zudem die CRT-Piloten Colin Edwards, Hector Barbera, Broc Parkes, Danilo Petrucci, Michael Laverty und Mike Di Meglio ein. Sie allesamt blieben auf Regenreifen und hofften auf weitere Niederschläge.

Als die Startlichter um kurz nach 14 Uhr erloschen, übernahm Bradl wenig überraschend und zur Freude der deutschen Fans die Führung, Marc Marquez gewann den Massenstart aus der Boxengasse. Die Hoffnung keimte auf, der LCR-Honda-Pilot könne ausgerechnet beim Heimrennen einen historischen MotoGP-Sieg für Deutschland erringen. Nachdem Bradl die erste Runde mit knapp acht Sekunden Vorsprung auf Marquez und das Verfolgerfeld beendete, wurde aber schnell klar, dass daraus wohl nichts werden würde. Schon in Runde zwei machte der Repsol-Honda-Star mehr als zwei Sekunden auf Bradl gut, obwohl er mehrere langsame CRT-Piloten abseits der trockenen Ideallinie überholen musste.

Bradls Vorsprung schmolz schnell, nach vier Runden hatten sich Marc Marquez und dessen Teamkollege Dani Pedrosa bereits auf 2,7 Sekunden angenähert. Zum Ende des sechsten Umlaufs passierte dann das Unweigerliche: Marquez übernahm in der Schlusskurve die Führung. Bradl konnte nicht gegenhalten, verlor nur wenige Kurven später im Infield auch Platz zwei an Pedrosa. Während Marquez in der Folge zu seinem neunten Sieg in Serie davonflog, war beim Deutschen der Rückwärtsgang eingelegt. In Runde zehn zog Jorge Lorenzo vorbei, in Runde elf dann auch Valentino Rossi und Andrea Iannone. Und so ging es immer weiter: Erst Aleix Espargaro, dann Andrea Dovizioso und Cal Crutchlow. Zur Rennhalbzeit lag Bradl bereits nur noch auf Platz neun, doch auch dabei blieb es nicht. Bis zur Zieldurchfahrt überholten ihn auch noch Scott Redding, Pol Espargaro, Alvaro Bautista, Aoyama, Abraham, Nicky Hayden und Danilo Petrucci. 53,889 Sekunden Rückstand und Platz 16 - letztlich stand nichtmal ein WM-Punkt zu Buche.

Stefan Bradl führte den Deutschland GP 2014 nur in der Startphase an, Foto: LCR Honda
Stefan Bradl führte den Deutschland GP 2014 nur in der Startphase an, Foto: LCR Honda

Verpatzter Setup-Wechsel: Bradl fährt mit Misch-Setting

Doch warum war Bradl im Deutschland GP 2014 so chancenlos, hatte er doch eigentlich richtig gepokert? "Ich habe mich im Grid für den Slick entschieden. Das war die richtige Entscheidung. Leider hatten wir ein paar Probleme, als meine Mechaniker das Bike vom Nass- auf das Trocken-Setup gewechselt haben", verriet der gebürtige Augsburger nach Rennende. Der Austausch am Heck dauerte zu lange, wodurch die Front-Gabel nicht mehr gewechselt werden konnte. Die Folge: "Ich bin mit meinem Misch-Setting gefahren. Die Front war auf Regen abgestimmt, das Heck auf trockene Bedingungen."

So konnte der LCR-Pilot nicht mit den restlichen Topfahrern, die erst in der Boxengasse auf Slicks gewechselt hatten, mithalten. "Nach dem Start dachte ich, dass ich führe und den Vorsprung vielleicht bis zum Ende verwalten kann. Aber die anderen waren viel schneller, ich habe zwei Sekunden pro Runde verloren", erkannte Bradl schnell. "Ich konnte nicht bremsen. Ich war sofort am Boden der Gabel, hatte keine Verlangsamung. Die Front fühlte sich wie Gummi an und bewegte sich viel zu viel."

Stefan Bradl wurde letztlich bis auf Platz 16 durchgereicht, Foto: Milagro
Stefan Bradl wurde letztlich bis auf Platz 16 durchgereicht, Foto: Milagro

Vom verpatzten Setup-Wechsel wissend hätte der Deutsche natürlich auch am Ende der Aufwärmrunde in die Box kommen und das Motorrad wechseln können, doch er entschied sich - rückblickend fatalerweise - dagegen. "Ich dachte, mein Vorteil wäre größer, im Grid zu starten", seufzte er. "Das ist sehr enttäuschend." Eine bessere Chance auf seinen ersten MotoGP-Sieg sollte Bradl nicht mehr bekommen, am Jahresende trennte sich das LCR-Team von ihm. Es folgten zwei Saisons im hinteren Mittelfeld bei Forward und Aprilia, ehe Bradls MotoGP-Karriere als Stammfahrer 2016 endete - leider ohne MotoGP-Sieg.