Die 24 Stunden von Le Mans erleben eine Premiere der anderen Art. In der WEC-Saison 2024 ist das Aufwärmen der Reifen an der Box verboten. Die Fahrer müssen praktisch mit kalten Pneus aus der Boxengasse losfahren und können diese erst langsam im Laufe der Runde auf Temperatur bringen. Die Regeländerung war ursprünglich bereits 2023 eingeführt worden. Doch nach einigen Unfällen in Spa, und viel Kritik, wurde sie vor Le Mans wieder gekippt.

2024 gibt es jetzt also den zweiten Anlauf und diesmal wird das Reifenwärmer-Verbot durchgezogen. In Le Mans sind die fehlenden Heizdecken vor dem Rennen deshalb ein großes Thema. Vor allem da für Samstag und Sonntag ein Temperatur-Rückgang erwartet wird. Doch die Meinungen zwischen den Lagern sind gespalten.

Ferrari-Fahrer gegen Heizverbot: Verletzungsgefahr für die Show?

Vor allem die Ferrari-Piloten kritisieren das Verbot scharf. Vorjahres-Sieger Alessandro Pier Guidi ärgerte sich: "Es ist sehr unsicher und das für jeden. Wenn man aus der Box hinausfährt, hat man null Kontrolle und wir sind mitten unter Autos, die mit 300 km/h daherkommen."

#2 Cadillac mit Bamber, Lynn, Palou
Verkehr in Le Mans: Wird es mit kalten Reifen gefährlich?, Foto: DPPI/WEC

Robert Shwartzman, der mit dem privat eingesetzten #83 AF-Corse-Ferrari unterwegs ist, geht sogar einen Schritt weiter und stellt die Sicherheit der Fahrer in Frage: "Ich verstehe die Idee dahinter nicht. Soll das lustig sein, wenn sich jemand dreht oder crasht?! Ist das alles für die Show? Als Fahrer bin ich kein Fan davon."

"Wen wir Rennen fahren und es dabei sicher gestalten wollen, dann sollte man eine Regel machen, die gewisse Temperaturen vorschreibt. Dann hat man nicht null Grip, wenn man aus der Boxengasse losfährt", lautet sein Vorschlag.

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Zu gefährlich? Ferrari-Fahrer ärgern sich über das Reifenwärmer-Verbot in der WEC, Foto: Ferrari

Doch bei der Diskussion um die Heizdecken geht es wohl nicht nur um Sicherheit, sondern auch schlicht und ergreifend um Performance. Die Fahrer beziffern den Zeitverlust nach dem Boxenstopp, der sich aus den kalten Reifen ergibt, auf 20 bis 25 Sekunden. Wer die Reifen schneller auf Temperatur bekommt, hat im 24h-Rennen nach jedem Boxenstopp einen bedeutenden Vorteil.

Porsche kontert Ferrari-Kritik: Sind langsamer als wir

Bei Porsche wittert man deshalb hinter der Ferrari-Kritik an den Heizdecken politisches Kalkül. Porsches Motorsportchef Thomas Laudenbach unterstellte den Roten, dass das Sicherheitsargument nur vorgeschoben sein könnte: "Auf den WEC-Strecken scheint es so, dass wir die Reifen ein wenig schneller ins Fenster bekommen. Ferrari ist sehr professionell, sie sehen das und sind nicht glücklich damit. Dann muss man bessere Argumente finden, anstatt zu sagen: 'Die (Porsche; d. Red.) sind besser als wir'.

Porsche-Pilot Andre Lotterer sieht das ähnlich: "Anscheinend kommen wir besser zurecht (als Ferrari; d. Red.)." Offenbar ist das Reifenaufwärmen eine Charakteristik, die dem Porsche 963 mehr entgegenkommt als dem Ferrari 499P. "Ich weiß nicht, woran es liegt. Es sind alles dieselben Reifen und es ist nicht so, als ob wir das Auto auf so etwas abstimmen. Das ist nicht wirklich etwas, das man gezielt machen kann", so Lotterer. Bei Porsche ist die Meinung jedenfalls einhellig: Das Reifendecken-Verbot ist eine gute Sache. "Ich bin froh, dass es sie dieses Jahr nicht mehr gibt", wie es Porsches LMDh-Werksleiter Urs Kuratle formulierte.

#6 Porsche-Penske mit Estre, Lotterer, Laurens Vanthoor
Porsche bringt die Reifen in Le Mans schneller auf Temperatur als Ferrari, Foto: LAT Images

Die Intention hinter der Regeländerung ist dieselbe wie in der Formel 1, wo ebenfalls lange für 2024 eine Abschaffung der Heizdecken geplant war, die aber schließlich noch gekippt wurde. Es geht um die Nachhaltigkeit und um Kostenersparnisse. Denn Heizdecken sind nicht nur energieaufwendig, sondern auch ziemlich teuer.

Paul di Resta: WEC-Reifen sind noch nicht bereit dafür

Die Diskussion wird nicht nur zwischen Ferrari und Porsche geführt. Auch bei anderen Herstellern hinterfragen die Fahrer die Sinnhaftigkeit des Verbots. Peugeot-Pilot Paul Di Resta glaubt, dass die Regel der Show auf der Strecke schadet. "Wenn man über Strategie spricht: Wenn man aus der Box herauskommt, dann kämpft man nicht gegeneinander. Man wartet einfach nur darauf, bis man an dem Fahrer vor dir vorbeifahren kann."

"Ich will hingegen sehen, wie Autos direkt aus der Box kommen und sofort voll draufgehen. Denn das bringt Strategie", so der Schotte weiter. Di Resta fordert, dass, um das zu erreichen, an der Reifen-Konstruktion Hand angelegt werden müsse. Der ehemalige Formel-1-Fahrer verglich die Lage mit jener in der Königsklasse: "Die Formel-1-Fahrer sagten, dass ihre Reifen noch nicht bereit dafür sind. Wir sind meiner Meinung nach mit Sicherheit noch nicht bereit dafür."

Sein Markenkollege Nico Müller entschärfte die Kritik aber ein wenig: "Im Vorfeld haben wir uns das fast noch schlimmer vorgestellt, als es sich jetzt in den Trainings angefühlt hat", sagte er gegenüber Motorsport-Magazin.com , fügte jedoch hinzu: "Aber es wird jetzt eher kälter [im Rennen], von daher wird es vielleicht wieder vermehrt zu einem Thema.

#94 Peugeot mit Vandoorne, Di Resta, Duval
Boxenstopp bei Peugeot, Foto: DPPI/WEC

Für das 24-Stunden-Rennen in Le Mans sind deutlich kühlere Temperaturen und unbeständigeres Wetter vorhergesagt, als noch für die Trainings- und Qualifying-Tage. Di Resta glaubt, dass diese Diskussion nur deshalb erst jetzt so prominent aufkommt, da bei den bisherigen Rennen der WEC 2024 das Wetter mitgeholfen hatte. "Ich denke, wir haben noch nicht die Wahrheit gesehen, was das angeht". Bei den Rennen jedenfalls, bei Ausdauer-Tests in den Wintermonaten in Spanien bekamen schon viele Teams ein Bild davon, wie sich die unaufgewärmten Reifen bei geringen Temperaturen verhalten .

Schummel-Gerüchte: Betrügt jemand beim Reifenaufwärmen

Doch die Reifenwärmer-Diskussionen machen nicht an diesem Punkt halt. Auch an der flächendeckenden Überwachung der Regeln haben einige im Paddock Zweifel. Denn in der WEC sind nicht nur Heizdecken verboten, sondern sämtliche Arten und Weisen, auf die man künstlich zusätzliche Temperatur in den Reifen erzeugen kann, bevor diese aufgezogen werden.

Es geht deshalb das Gerücht um, dass einige Hersteller oder Teams versuchen könnten, die Aufhängung oder die Karosserie anzuheizen, damit diese anschließend Temperatur an die Reifen abgibt. "Es gibt Gerüchte, dass ein paar Teams die Regeln nicht wirklich respektieren. Ich hoffe, dass sich da alle daran halten. Denn es muss fair sein", schnitt Shwartzman auch dieses Thema an.