Diese Nachricht sorgte in der vergangenen Woche für weltweite Schlagzeilen: Mercedes-AMG kehrt nach 26 Jahren Auszeit zurück zu den 24 Stunden von Le Mans. 2025 tritt der deutsche Premiumhersteller allerdings nicht mit einem Hypercar in der gleichnamigen Topklasse an, sondern mit zwei Mercedes-AMG GT3 in der kleineren LMGT3-Kategorie. Wie es zum spektakulären Deal mit dem bisherigen Lamborghini-Kundenteam Iron Lynx kam und was an den anhaltenden Gerüchten um den Bau eines Prototypen dran ist, erklärt AMG-Kundensportleiter Stefan Wendl im Interview mit Motorsport-Magazin.com.
Stefan, wie hat sich das WEC-Engagement für Mercedes-AMG ergeben?
Stefan Wendl: Wir hätten sehr gerne schon 2024 an der WEC teilgenommen, wurden aber im Auswahlprozess nicht berücksichtigt und mussten das akzeptieren. Wir haben regelmäßig den Kontakt zum ACO gesucht, um zu signalisieren, dass wir bereitstehen. Ich war in Spa beim 6-Stunden-Rennen und wir waren auch in Le Mans, um zu verstehen, was auf uns zukommen könnte. Während der Saison gab es immer mal wieder Gespräche im Fahrerlager, auch mit Iron Lynx. Diese waren zwar unverbindlich, ließen aber durchblicken, dass sich möglicherweise eine Chance ergeben könnte.
Wann fiel letztendlich die Entscheidung?
Stefan Wendl: Tatsächlich habe ich erst nach dem FIA WEC-Rookietest in Bahrain (03.11.; d. Red.) einen Anruf von Iron Lynx erhalten. Sie fragten, ob es noch rechtzeitig klappen würde, unsere Mercedes-AMG GT3 zu kaufen und diese für die WEC vorzubereiten. Das war sehr kurzfristig. Letztlich haben wir während des Wochenendes in Macau (15.-17.11.; d. Red.) die letzten Details geklärt, die für den Entry notwendig waren.
Inwiefern wird Mercedes-AMG das Team Iron Lynx unterstützen? Kann man von einem Werkseinsatz sprechen?
Stefan Wendl: Iron Lynx ist ein Kundenteam, kein Performance-Team. Der gesamte Einsatz in der FIA WEC ist für uns ein Kundensport-Projekt. In der FIA WEC, aber auch in der European Le Mans Series oder der Asian Le Mans Series wollen wir unseren Kunden den gleichen, gewohnten Service bieten. Dazu gehören unter anderem der Ersatzteil- und Engineering-Support, der standardmäßig in ausgewählten Rennserien verfügbar ist. Dies werden wir auch für die WEC umsetzen. Da wir uns dort um ein einzelnes Team kümmern, prüfen wir gerade, welche Art von Engineering-Support der richtige ist.
Der Einsatz eines einzelnen GT3-Autos in der WEC verschlingt nach unseren Informationen mehr als vier Millionen Euro pro Saison. Erhält Iron Lynx eine finanzielle Unterstützung von Mercedes-AMG?
Stefan Wendl: Nein.

Gibt es eine Vertragsklausel, die besagt, dass Iron Lynx nicht mit anderen Herstellern in der WEC oder weiteren Rennserien zusammenarbeiten darf?
Stefan Wendl: Nein, so etwas gibt es nicht. Iron Lynx ist ein Kundenteam, das bei uns Fahrzeuge gekauft hat, und wir haben dafür gesorgt, dass wir den Mercedes-AMG GT3 entsprechend vorbereiten und die Homologationsvorgaben erfüllen. Danach ist unser Fahrzeug für den Einsatz in den ACO-Rennserien verfügbar, und Teams können - abhängig vom Starterfeld und der Zustimmung des ACO - in Le Mans oder der European Le Mans Series teilnehmen.
Gab es jemals die Überlegung, Rennteams aus dem eigenen Kundenstamm in die WEC bzw. zu den 24 Stunden von Le Mans zu schicken?
Stefan Wendl: Im Prinzip ja. Wären wir damals ausgewählt worden, hätten wir wahrscheinlich eines der Teams aus unserem Kundensport-Portfolio, das sich beworben hat, unterstützt. Es gab 2023 Anfragen sowohl von unseren Teams als auch von externen Teams, die aus dem LMP2-Bereich oder von anderen Herstellern kamen. Da wir jedoch nicht ausgewählt wurden, mussten wir keine Entscheidung treffen. Dieses Mal war es anders: Iron Lynx hatte den Entry und suchte einen Hersteller.
Waren Sie überrascht über die damalige Absage des ACO?
Stefan Wendl: Wir waren nicht völlig überrascht. Es hatte sich angedeutet. Wir haben Verständnis gegenüber dem ACO geäußert, dass Hersteller, die Hypercars einschreiben, auch Startplätze für ihre GT3-Fahrzeuge erhalten. Marken wie McLaren haben uns gegenüber den Vorzug erhalten, vermutlich, weil sie sich stärker für ein Hypercar-Projekt engagiert hatten als das bei uns der Fall war.
Seit geraumer Zeit gibt es Gerüchte über die baldige Entwicklung eines Mercedes-Hypercars für die WEC. Was ist an diesen Spekulationen wirklich dran?
Stefan Wendl: Ein Hypercar-Projekt steht bei uns aktuell nicht im Fokus. Wir konzentrieren uns intensiv auf den Nachfolger unseres Mercedes-AMG GT3. Das ist unser Hauptaugenmerk und benötigt alle verfügbaren Ressourcen.

Iron Lynx hat bislang nur die beiden Bronze-Fahrer auf den Mercedes-AMG bekanntgegeben. Was können Sie uns bezüglich der Fahrerfrage verraten?
Stefan Wendl: Das ist eine Entscheidung des Teams. Wir befinden uns im Austausch und werden besprechen, ob auch Fahrer aus dem AMG-Pool eingesetzt werden. Das ist sehr wahrscheinlich, aber noch nicht final entschieden.
Mick Schumacher ist als Formel-1-Ersatzfahrer ein Teil der Mercedes-Familie. Gab es Gespräche über einen möglichen Einsatz mit dem Mercedes-AMG GT3 in der WEC?
Stefan Wendl: Wir hatten diesbezüglich keinerlei Gespräche mit Mick.
In der WEC und bald auch in der IMSA kommen Drehmomentsensoren an den Antriebswellen zum Einsatz, um Sandbagging bei der BoP besser verhindern zu können. Ist der Mercedes-AMG GT3 für diese technische Neuerung ausgelegt?
Stefan Wendl: Wir sind gerade dabei, uns darauf einzustellen. Zuerst wurde uns von der IMSA mitgeteilt, dass Drehmomentsensoren nur als Monitoring-Tool eingesetzt werden sollen, um die Daten der Fahrzeuge nachträglich analysieren zu können. Dann wurde relativ spät entschieden, diese Sensoren analog zur FIA WEC als maßgebende Leistungsangabe für den Motor zu nutzen. Deshalb mussten wir die gesamte Motor-Elektronik mit unserem Partner Bosch komplett neu entwickeln. Wir sind derzeit mit Tests auf der Strecke und am Prüfstand beschäftigt, um das System zu optimieren. Technisch ist der Umbau für die Autos von Iron Lynx nicht sehr aufwendig, da die Kabelbäume schon vorbereitet sind. Der große Aufwand liegt in der Entwicklung der neuen ECU-Software.
Welche Vor- und Nachteile bieten die teuren Drehmomentsensoren aus Ihrer Sicht?
Stefan Wendl: Die Kosten sind ein Nachteil. Es gibt nur einen homologierten Zulieferer, und die Produktion der speziell vorbereiteten Antriebswellen erfordert zusätzlichen Aufwand. Zudem besteht ein zusätzliches elektronisches Risiko bei einem fragilen Bauteil. Wenn der Sensor versagt oder an Leistung verliert, ist das Rennen praktisch vorbei, weil die Antriebswelle gewechselt werden muss - obwohl sie mechanisch vielleicht noch in Ordnung ist. Der Vorteil ist, dass das Sandbagging fast ausgeschlossen werden kann, theoretisch sogar in Echtzeit. Das ist ein Fortschritt für die Sportlichkeit.

Bisher waren aus deutscher Sicht nur BMW und Porsche vom nächstjährigen 24-Stunden-Rennen-Tripleheader mit Le Mans, Nürburgring und Spa innerhalb von 16 Tagen betroffen. Jetzt kann sich auch Mercedes-AMG auf geschäftige Wochen 'freuen'...
Stefan Wendl: Ja, jetzt sind wir überraschenderweise auch in Le Mans dabei. Schon vorher hatten wir aber unsere deutschen Mitbewerber BMW und Porsche unterstützt und argumentiert, dass es nicht gut ist, drei 24-Stunden-Rennen an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden auszutragen. Das ist nicht nur für die Teams und Fahrer anstrengend, sondern auch für die Fans ermüdend. Es ist schade für Spa-Francorchamps und den Nürburgring, die darunter am ehesten leiden dürften.
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