Pole Position, schnellste Rennrunde, Sieg, WM-Führung. Für Lando Norris lief der Saisonauftakt in Australien wunschgemäß. Trotzdem drückt der McLaren-Pilot vor dem China Grand Prix auf die Euphoriebremse. "Ich hatte ein gutes Wochenende. Die Leute sollten sich ein bisschen beruhigen", betonte der 25-Jährige. Zu diesem Zeitpunkt der Saison überhaupt über die Weltmeisterschaft nachzudenken, sei einfach nur lächerlich. Statt sich über den Titel Gedanken zu machen, will sich Norris darauf konzentrieren, an jedem Wochenende die bestmögliche Performance aus dem Auto herauszuholen.

Bereits während der Wintertests in Bahrain zeigte sich der Brite mit seinem MCL39 alles andere als happy. Angesichts der beeindruckenden Zeiten auf den Longruns hielten viele seine Aussagen für Tiefstapelei. Doch Norris bleibt auch vor dem China Grand Prix bei seiner Meinung. "Das Auto funktioniert und zeigt eine gute Leistung, aber es ist immer noch extrem schwierig zu fahren. Es passt einfach nicht zu meinem Fahrstil." Norris liebt einen aggressiveren Fahrstil. Er will beim Einlenken das Auto pushen können, genauso wie auf der Bremse. "Ich will einfach eine stabile Front am Scheitelpunkt. Das ist alles, was ich will. Aber was diesen Punkt angeht, ist das Auto sehr schwach", verriet der Brite, der seit 2019 für McLaren fährt.

Mittlerweile verfügt Norris über genug Erfahrung und technisches Verständnis, um zu wissen, dass man nicht alles haben kann. "Wenn ich in der Mitte der Kurve etwas mehr Abtrieb haben will, können wir das im Moment nur erreichen, indem wir die Leistung bei niedrigen oder hohen Geschwindigkeiten reduzieren", erklärte Norris. Statt also weiterhin zu fordern, dass das Auto macht, was er will, hat der Brite seine Sichtweise geändert und passt jetzt seinen Fahrstil dem Auto an. "Ich habe ein besseres Verständnis dafür entwickelt, wie ich das Auto fahren muss. Ich habe verworfen, zu denken: ich will das vom Auto und mache so lange weiter, bis das Auto zu mir passt", verriet der Brite.

Lando Norris im McLaren
Norris passt sich an das Auto an, Foto: IMAGO / AAP

Heute ist seine Philosophie eine andere. Wenn ihm das Team ein schnelles Auto hinstellt, liegt es an ihm, seinen Fahrstil anzupassen, um das volle Potenzial herauszuholen. "Ich bin an dem Punkt angelangt, an dem ich bereit bin, alles zu tun, was das Auto schneller macht. Es [der McLaren MCL39; Anm. d. Red.] ist ein kniffliges Auto, was das Fahren und das Zusammenkriegen der perfekten Runde angeht, aber es ist ganz klar ein Fortschritt im Vergleich zum letzten Jahr. Letztendlich ist es mein Job, jedes Auto zu fahren, das mir gegeben wird. Deshalb bin ich hier. Deshalb wollte mich McLaren", so der 25-Jährige.

Norris hat Ferrari in China auf dem Schirm

In China rechnet Norris mit einer starken Konkurrenz. Neben Red-Bull-Pilot Max Verstappen hat er vor allem Ferrari auf dem Schirm, auch wenn die Scuderia in Melbourne kein gutes Bild abgegeben haben. Im Qualifying lagen Charles Leclerc und Lewis Hamilton teilweise sieben bis acht Zehntel zurück. Ein Rückstand, der laut Norris aber nicht der Realität entspricht. "Es gab keine einzige Session, FP1, FP2, FP3, wo Ferrari annähernd so weit weg war. Die Rennpace von Ferrari war am Freitag sogar besser als unsere. Wir waren also überrascht und ich bin mir sicher, dass auch Ferrari ein wenig geschockt war", meinte der Brite.

Andersherum hätte Red Bull in den Trainingssession deutlich langsamer ausgesehen, am Ende war Verstappen in Melbourne der härteste Verfolger. "Das zeigt, wie schwierig es momentan ist. Es ist so einfach, dass es gut läuft, und so einfach, dass alles auf den Kopf gestellt wird und plötzlich nicht mehr rundläuft", sagte Norris. Genau hier komme der Faktor Reifen ins Spiel. Beiden McLaren-Piloten gelang es die Reifen ins richtige Fenster zu bekommen, sodass sie gleichmäßig vorne und hinten abbauten.

"Deshalb sahen wir in der mittleren Hälfte des Rennens so stark aus", betonte Norris und verriet auch gleich das Geheimnis dahinter: Teamwork. "Es geht nicht nur um das Auto, sondern auch darum, dass zwei starke Fahrer gut zusammenarbeiten. Das ist etwas, was nicht viele Teams haben." McLaren hat de facto als einziges Top-Team zwei Siegfahrer, die das Auto in- und auswendig kennen.

Regeländerung bei Flügeln: McLaren nicht am Limit

Die FIA kündigte an, ab diesem Wochenende in China verschärfte Tests an den Flügeln durchzuführen. Bei diesem Test werden beide Seiten des Hauptelements je mit 75 Kilogramm vertikal belastet. Dabei darf der Abstand zwischen dem Hauptelement und dem Flap - jenem Teil, das im Rahmen des DRS nach oben geklappt werden kann - 0,5 Millimeter nicht überschreiten. Der Trick, durch den sich auf der Strecke eine Lücke im Heckflügel durch Verbiegung der Elemente öffnete, wurde im Vorjahr in Baku erstmals bei McLaren entdeckt.

Doch Norris gibt Entwarnung: "Unser Flügel ist in Ordnung. Eigentlich ist unser Flügel zu gut. Um ehrlich zu sein, gehen wir nicht weit genug an die Grenzen. Vielleicht sollten wir hier etwas mehr Druck machen", meinte Norris unbesorgt. Aufgrund der kurzfristigen Änderung zwischen Melbourne und Shanghai räumte die FIA für dieses Wochenende eine 0,25 Millimeter große Toleranzgrenze bei den Flügeln ein.

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