BMW zurück in der Top-Klasse bei den 24 Stunden von Le Mans: 25 Jahre nach dem Triumph von Joachim Winkelhock, Pierluigi Martini und Yannick Dalmas mit dem BMW V12 LMR wird dies im Jahr 2024 Realität. Nach dem Debüt des LMDh-Prototypen der Münchner in der US-amerikanischen Sportwagenmeisterschaft IMSA im Vorjahr, geht BMW in Kooperation mit dem belgischen Rennstall WRT seit 2024 auch in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC an den Start - und damit auch in Le Mans.
Für die am morgigen Samstag, 15. Juni 2024, startende 92. Ausgabe des 24-Stunden-Rennens, konnte sich BMW eine vielversprechende Ausgangsposition sichern. Während der #20 BMW (S. van der Linde/Frijns/Rast) als 16. die Hyperpole verpasste, gelang Dries Vanthoor im #15 BMW (D. Vanthoor/Marciello/Wittmann) die schnellste Zeit im Qualifying. In der anschließenden Hyperpole am Donnerstagabend reichte es nach einem Unfall von Vanthoor zwar nur für Rang sieben (P6 nach Strafe gegen den #2 Cadillac), dennoch befindet sich BMW in Schlagdistanz zur Spitze.
BMW bei 24h Le Mans mit Erfahrungsrückstand
Die Bedeutung des Qualifyings ist bei einem 24-Stunden-Rennen jedoch eher nebensächlich. "Natürlich ist es schön, hier auf Pole zu stehen, aber man muss auch realistisch sein. Erstens ist die Konkurrenz hoch und zweitens ist das Rennen extrem lang", meinte etwa BMW-Motorsportchef Andreas Roos am Mittwoch in Le Mans. "Ob du jetzt von eins, fünf, oder zehn startest, ist nachher auch wurscht."
Doch wie sehen die Chancen im Rennen aus? Klar ist: Genauso wie die anderen WEC-Neueinsteiger, Lamborghini, Alpine und Isotta Fraschini, kämpft BMW in Le Mans mit einem Erfahrungsrückstand im Vergleich zu den bereits etablierten Herstellern um Vorjahressieger Ferrari, Toyota, Porsche, Cadillac und Peugeot. "Das Einzige, was du dir im Motorsport nie erkaufen kannst, ist Zeit. Und die Entscheidung ist bei uns spät getroffen worden, gerade auch in die WEC einzugsteigen", dämpfte Roos im Vorfeld bereits die Erwartungen. Einen Vorteil hat BMW allerdings gegenüber den anderen Neueinsteigern: Der BMW M Hybrid V8 hatte vor seinem Einstieg bereits eine komplette IMSA-Saison auf dem Buckel.

Rast: Fehlt noch was nach vorne
An eine Chance auf den Gesamtsieg glauben bei BMW angesichts dieses Erfahrungsrückstandes wohl selbst die größten Optimisten nicht. "Man braucht mit Sicherheit noch ein bisschen Zeit", meinte etwa Rene Rast in Le Mans zu Motorsport-Magazin.com. "Aber wir machen Schritte von Rennen zu Rennen, von Wochenende zu Wochenende. Man merkt das, aber es fehlt immer noch ein bisschen nach vorne."
Rast gibt angesichts dessen verhaltene Ziele für das 24-Stunden-Debüt des LMDh-BMW aus: "Wenn wir ein gutes Rennen ohne Probleme haben, einfach durchfahren und die anderen ein paar Probleme haben, dann können wir wohl in die Top-10 fahren, vielleicht sogar in die Top-6 wie in Imola." Beim Rennwochenende auf dem Autodromo Enzo e Dino Ferrari fuhr das Trio um Rast im #20 BMW mit P6 das bislang beste WEC-Resultat für den deutschen Autobauer ein.
BMW mit Wetterunterstützung zum Le-Mans-Podium?
Marco Wittmann im Schwester-BMW mit der Startnummer #15, noch ohne Top-10-Ergebnis in der WEC, äußerte sich im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com ebenfalls zurückhaltend: "Ich bin eher der, der dann lieber ein bisschen konservativer an die Sache rangeht, weil wir sicherlich bei den Events davor nicht in der Position waren, wo wir sagen können, wir können aus eigener Kraft aufs Podium fahren."
Deutlich optimistischer gab sich in Le Mans Robin Frijns. Der 32-Jährige hoffte auf unbeständiges Wetter. Im Verlauf des 24-Stunden-Rennens wird im Vorfeld mit Regen gerechnet. "Wenn du dir Imola anschaust, wo wir unser stärkstes Rennen hatten: An einem Punkt haben wir mit Toyota im Regen um P3 gekämpft." In Anbetracht der Wetterprognosen wagte sich Frijns deswegen schon mehr aus der Deckung als seine Markenkollegen: "Es wird mit der Wettervorhersage nicht einfach sein und dann tragen wir hoffentlich ein Podium davon."
Gleichzeitig war sich auch Frijns dem grundsätzlichen Performance-Defizit des LMDh-BMW bei trockenen Bedingungen bewusst: "Wir haben immer noch einige Probleme im Hintergrund, an denen wir arbeiten müssen und die wir im Moment immer noch nicht richtig aussortiert haben. Aber wenn alles gut funktioniert und das Auto in einem guten Fenster ist, können wir irgendwo an der Spitze kämpfen."
Porsche-Sorgen bei BMW
Kopfzerbrechen bereitet BMW jedoch die starke Konkurrenz. Allen voran Porsche geht nach zwei Siegen aus den ersten drei WEC-Rennen 2024 als Mitfavorit ins Rennen. "Mit den Porsches zu kämpfen, wird schwierig sein. Der Porsche ist zusammen mit Toyota das stärkste Auto", glaubte auch Frijns. "Wir werden schauen müssen, wie weit wir von Porsche entfernt sind. Und leider sind sie mit sechs Autos hier."

Neben der Werksallianz aus Porsche und dem US-amerikanischen Rennstall Penske, sind in der WEC-Saison 2024 auch zwei Kundenteams mit dem Porsche 963 unterwegs. Das britische Team Jota setzt zwei LMDh-Porsches ein, während der Rennstall Proton Competition aus dem baden-württembergischen Ummendorf einen weiteren Porsche-Boliden ins Feld führt. Zudem ist das Werksteam Porsche-Penske in Le Mans zusätzlich zu den zwei permanenten Autos mit einem dritten 963 mit der Startnummer #4 (Jaminet/Nasr/Tandy) unterwegs.
Diese Masse an womöglich äußerst konkurrenzfähigen Porsche-Autos könnte den Neulingen rund um BMW den Kampf um Spitzenpositionen erschweren. "Wenn ein, zwei, oder drei Marken einfach ein bisschen besser sind als du, dann kannst du schon ganz schnell aus den Top-10 raus sein", mahnte auch Andreas Roos. "Wenn der Porsche schneller ist als wir, dann kann es passieren, dass schon mal sechs Porsches vor dir sind."
Wie schlagen sich die 24h-Le-Mans-Debütanten Wittmann, van der Linde und Marciello?
Gleichzeitig herrscht bei Roos und BMW die Hoffnung, von möglichen Problemen der Konkurrenz profitieren zu können. "Es gilt immer noch das Motto: To finish first, first you have to finish (Deutsch: Um Erster zu werden, musst du das Rennen erst beenden; d. Red.)", so Roos. "Du kannst dich nicht nach hinten durchreichen lassen und dann Runden zurück sein, dann kommst du auch nicht mehr nach vorne. Aber es bringt auch nichts, wenn du zehn Stunden lang das Rennen angeführt hast und dann ausfällst."
Eine zusätzliche Herausforderung zum Debüt des BMW M Hybrid V8 in Le Mans stellt auch die Tatsache da, dass gleich drei der sechs Piloten (Marciello/S. van der Linde/Wittmann) in den beiden BMW-Boliden ihr Debüt beim Langstrecken-Klassiker geben. Einen negativen Einfluss auf die BMW-Performance erwartete aber zumindest Frijns nicht. "Wenn das Rennen ansteht, wird jeder eine ähnliche Pace haben", prognostizierte der Niederländer.
Für Wittmann und Sheldon van der Linde gestaltete sich die Gewöhnung an den Circuit de la Sarthe im Vorfeld allerdings schwieriger als ohnehin schon. Gemeinsam mit Rast zählten die beiden Piloten zu einer Gruppe von sechs Fahrern, die beim Testtag am vergangenen Sonntag nur einen Zwischenstopp einlegten, um anschließend wieder zur DTM nach Zandvoort zurückzukehren.
Wittmann: Muss mich an erfahrene Le-Mans-Piloten rantasten
Für eine ernsthafte Gewöhnung an die Strecke und Fahren am Limit blieb dabei kaum Zeit, Wittmann absolvierte beispielsweise nur zehn Pflichtrunden. Der zweifache DTM-Champion am Mittwoch in Le Mans: "Das ist jetzt eher was, wo ich mich heute und morgen rantasten muss, um eben dann auch vom Speed her dahin zu kommen, wo vielleicht ein Robin, oder ein Dries ist, die natürlich die letzten Jahre schon hier in Le Mans gefahren sind und auswendig kennen: Welchen Kerb kann ich nehmen? Wie viel Risiko kann ich gehen beim Überholen?"
Immerhin ist das grundsätzliche Konzept eines 24-Stunden-Rennens für Marciello, van der Linde und Wittmann nichts Neues - im Gegenteil. Die drei Piloten zählen zu erfahrenen Langstrecken-Fahrern und vereinen allein beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring ganze 22 Starts auf sich. Dennoch sind die höchst komplexen LMDh-Boliden eine spezielle Herausforderung. Welche Hürden dabei genau auf die Piloten warten, erklärte jüngst Wittmann im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Alle Details lest Ihr in diesem Artikel:
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