Die Liste der MotoGP-Weltmeister ist nicht nur lang, sie ist auch äußerst nahmhaft: Valentino Rossi, Marc Marquez, Mick Doohan, Wayne Rainey, Giacomo Agostini oder zuletzt Francesco Bagnaia, um nur einige der größten Stars zu nennen. Einer der bislang 29 verschiedenen Titelträger hat jedoch einen ganz besonderen Platz in den Geschichtsbüchern inne: Leslie Graham. Der Brite krönte sich vor exakt 75 Jahren am 20. August 1949 nämlich zum allerersten Motorrad-Weltmeister der 500ccm-Klasse. Motorsport-Magazin.com blickt auf dieses historische Ereignis zurück.
Als die Motorrad-Weltmeisterschaft im Juni 1949 in ihre erste WM-Saison startete, hatte der zu diesem Zeitpunkt schon 37-jährige 'Les' Graham bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Am 14. September 1911 in der Nähe Liverpools geboren, entdeckte der Brite im Teenager-Alter seine Leidenschaft für Motorräder und den zunehmend populärer werdenden Motorsport. Schnell folgten die ersten Rennteilnahmen auf Speedway-Bahnen, ehe er 1929 schließlich auch seine ersten Straßenrennen absolvierte. Es folgte eine Festanstellung beim britischen Motorradbauer OK-Supreme, für den er gleichzeitig arbeitete und Rennen fuhr - mit überschaubarem Erfolg. Ende der 1930er-Jahre folgte dann der Wechsel zum ebenfalls in Birmingham ansäßigen Hersteller Velocette.
Leslie Graham: Vom Airforce-Piloten zum MotoGP-Weltmeister
Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Herbst 1939 kam es jedoch nie zu einem Renneinsatz für Velocette, vielmehr wurde Graham von der Royal Air Force eingezogen und musste fortan als Pilot seinem Land dienen. Erst nach Ende des Krieges im Jahr 1945 konnte er sich wieder seiner Leidenschaft für den Rennsport widmen. Graham unterschrieb beim britischen Konstrukteur AJS (A.J. Stevens & Co Ltd., Anm.) und meldete sich 1949 schließlich zur ersten Weltmeisterschaftssaison der Motorrad-WM in den Kategorien der 350ccm- und 500ccm-Klassen an.
Leslie Graham verpasst historischen Sieg beim 1. MotoGP-Rennen
Der erste Grand Prix der WM-Geschichte fand dabei Mitte Juni 1949 auf dem berüchtigten Isle of Man TT Circuit inmitten der Irischen See statt. Die 350ccm-Klasse hatte dabei im Rahmen der 'Tourist Trophy' die Ehre, am 13. Juni den ersten WM-Lauf der Geschichte abzuhalten. Graham war dort ebenfalls am Start, schaffte es jedoch nicht ins Ziel. Stattdessen sicherte sich Landsmann Freddie Frith den ersten Sieg der WM-Geschichte. Als vier Tage später am 17. Juni schließlich das erste Rennen der 500ccm-Königsklasse anstand, lag Graham lange Zeit auf Geschichtskurs. Er führte bis tief in die Schlussrunde, ehe der Magnetantrieb seiner AJS Porcupine 500cc Twin auf den letzten Metern noch abriss. Er verlor den sichergeglaubten Sieg an Norton-Pilot Harold Daniell und musste sein defektes Motorrad bis zur Ziellinie schieben, die er immerhin noch als Zehnter erreichte. Die Punkteplätze verpasste er damit zwar deutlich, da er aber die schnellste Runde gefahren war, erhielt er dennoch einen (später nicht unwichtigen) WM-Zähler.

Spätestens mit dem zweiten WM-Lauf der Geschichte, dem Schweizer Grand Prix, wendete sich das Blatt schließlich zu Gunsten Grahams. Auf dem Circuit Bremgarten bei Bern holte er sich nicht nur seinen ersten WM-Sieg, sondern auch einen zweiten Punkt für die schnellste Rennrunde. Die Konkurrenz düpierte der Brite regelrecht, gewann mit fast anderthalb Minuten Vorsprung. Zudem sicherte er sich am gleichen Tag in der 350ccm-Klasse, in der er anschließend nicht mehr antreten sollte, als Zweiter auch noch einen weiteren Podiumsplatz.
Ein zweiter Rang bei der Dutch TT in Assen brachte Graham zur Saisonhalbzeit bereits in eine ausgezeichnete Lage im Kampf um den ersten WM-Titel der Geschichte. Dieser wurde seinerzeit nämlich nicht nach dem heute bekannten Punktesystem vergeben, sondern nach dem Prinzip der Streichresultate. In der Endabrechnung zählten nur die drei besten Ergebnisse eines Fahrers. Ein Ausfall im Belgien Grand Prix auf dem Circuit de Spa-Francorchamps verschärfte die Lage zwar nochmal, verschaffte Graham aber gleichzeitig auch schon die Möglichkeit, bei Eintreten eines gewissen Szenarios bereits beim vorletzten WM-Lauf in Nordirland als erster 500ccm-Weltmeister der Geschichte festzustehen.
Leslie Graham: Sieg beim Ulster Grand Prix 1949 fixiert Titelgewinn
Die Ausgangslage vor dem Ulster Grand Prix am 20. August 1949 war simpel: Gewinnt Graham, müssen die WM-Rivalen Nello Pagani, Bill Doran und Harold Daniell den zweiten Platz erreichen und zusätzlich die schnellste Rennrunde fahren, um den AJS-Piloten beim Saisonfinale in Monza noch abfangen zu können. Gelingt ihnen das nicht, steht Graham mit einer Bilanz von mindestens zwei Siegen, einem zweiten Platz und zwei schnellsten Rennrunden vorzeitig als Weltmeister der Königklasse fest.
Hochmotiviert startete Graham daher in das Rennen auf dem 26,5 Kilometer langen Clady Circuit im nordirischen County Antrim und machte sofort klar, dass der Sieg an diesem Tag nur über ihn gehen würde. Auf seiner AJS Porcupine führte er vom Start weg und verschwand schnell aus dem Sichtfeld seiner Rivalen. Nach 2 Stunden, 34 Minuten und 5 Sekunden erreichte Graham schließlich als erster Pilot den Zielstrich und krönte sich somit auch zum ersten Fahrer, der in der 500ccm-Klasse zwei Rennsiege einfahren konnte. Doch würde es auch zu mehr reichen?
Das Warten und Zittern begann: Würden es Pagani oder Doran [Daniell ging nicht an den Start, Anm.] noch auf Platz zwei schaffen? Könnten sie Graham im letzten Umlauf die schnellste Rennrunde noch streitig machen und somit einen vorzeitigen Titelgewinn verhindern? Die Antwort erfolgte nach etwas mehr als anderthalb Minuten. Dann nämlich überquerte Artie Bell den Zielstrich als Zweiter und fixierte damit den Titelgewinn seines Landsmanns. Graham konnte beim Saisonfinale in Monza nicht mehr eingeholt werden, er stand am 20. August 1949 im Alter von 37 Jahren und 340 Tagen als erster 500ccm-Weltmeister der Motorrad-WM-Geschichte fest. Einen älteren Champion gab es übrigens bis heute nicht.
Leslie Graham: Folgenschwerer Wechsel zu MV Agusta
Als bereits feststehender Weltmeister wollte sich Graham beim Nations Grand Prix in Monza natürlich anständig aus dem Jahr 1949 verabschieden, doch das klappte nicht. Er schied bereits vorzeitig aus, während Pagani das Saisonfinale gewann. Das sorgte für die kuriose Situation, dass der Italiener in Gilera-Diensten über die gesamte Saison hinweg zwar die meisten Punkte gesammelt hatte, aufgrund der Streichresultate aber nicht Weltmeister wurde. Graham wiederum landete mit 31 Zählern hinter Pagani (40) und Arciso Artesiani (32) sogar nur auf WM-Rang drei, wurde aufgrund der besten drei Einzelresultate aber zum Champion gekrönt.
Somit startete der Brite 1950 natürlich auch als Favorit auf den WM-Titel in das zweite Jahr der Motorrad-Weltmeisterschaft. An die Erfolge der Premierensaison konnte er jedoch nicht mehr anknüpfen. Ein Sieg in der Schweiz sollte sein einziger im Jahr 1950 bleiben, die WM schloss er deutlich hinter Umberto Masetti und Geoff Duke auf dem dritten Rang ab. Im Folgejahr wechselte Graham schließlich zum aufstrebenden italienischen Motorradbauer MV Agusta, da AJS das 500er-Bike nicht mehr weiterentwickelte. Ein Griff ins Klo: Der Brite blieb 1951 ohne WM-Punkt, schied bei allen acht Saisonläufen vorzeitig aus. Erst Ende 1952 wendete sich das Blatt, als Graham die letzten beiden 500ccm-Rennen in Monza und Barcelona noch gewinnen konnte. Den zweiten WM-Titel verpasste er damit nur um drei Punkte. Es sollten seine letzten Siege in der Königsklasse bleiben.

Denn 1953 startete Graham erneut in allen vier WM-Klassen für MV Agusta und zählte nach den ansprechenden Leistungen im Schlussspurt der Vorsaison auch zu den Titelfavoriten, doch es sollte alles ganz anders kommen. Mit einem Sieg beim Auftaktrennen der 125ccm-Klasse auf der Isle of Man untermauerte der Brite zwar zunächst seine Titelambitionen, verstarb aber auch nur einen Tag später nach einem folgenschweren Sturz im 500ccm-Rennen. Auf Platz drei liegend brach im schwierigen Streckenabschnitt 'Bray Hill' in den Straßen der Insel-Hauptstadt Douglas Grahams Vorderradgabel. Er verlor die Kontrolle über sein Motorrad, stürzte und erlag noch an der Unfallstelle seinen schweren Verletzungen.
Graham konnte seinen Titelgewinn aus dem Jahr 1949 also nicht mehr wiederholen. Seinen Platz in den Geschichtsbüchern hat der achtfache Grand-Prix-Sieger als erster Motorrad-Weltmeister aber natürlich dennoch sicher.
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