Die Formel 1 hatte Ferrari als klaren Favoriten für das Rennen von Las Vegas gesehen. Einen Tag später lassen sich beim Aufrollen der deutlichen Niederlage mit den Plätzen drei und vier hinter Mercedes durchaus die elf Sekunden finden, welche die Scuderia zum Sieg gebraucht hätte. Durch das Bereinigen eines kolossalen Strategie-Debakels, welches Charles Leclerc und Carlos Sainz lautstark verfluchten.

Das beginnt praktisch ab der zweiten Kurve. In der ersten lief alles glatt. Hinter George Russell waren Leclerc und Sainz in bester Position für eine Attacke. Die wollte Leclerc gleich exekutieren. In den Runden 4 und 5 drängelte er hinter Russell. Der aber konnte ihn abwehren. Und plötzlich brach Leclerc ein. Damit setzte er das Ferrari-Desaster in Gang.

Ferrari (nur?) auf dem Medium in Las Vegas unterlegen

Zentral für Erfolg war in Las Vegas nicht Verschleiß, sondern sich auf der Reifen-Oberfläche sammelndes Graining, welches den Grip reduzierte. Pirelli hatte das ganze Wochenende gepredigt: Reifen ja vorsichtig anfahren. Darüber setzten sich einige hinweg, urteilt Sportchef Mario Isola: "Viele haben vom Start hart gepusht und nicht ans Reifenmanagement gedacht. Infolgedessen haben sie stärker als erwartet an Graining gelitten."

Basierend auf dem rapiden Einbruch hätte Leclerc eigentlich in Runde 7 stoppen müssen. Das war gefährlich früh. Vor allem, weil das ein Zurückfallen ins Mittelfeld bedeutete. Wo er die neuen Hard-Reifen erst recht nicht sachte hätte anfahren können. So zögerte Ferrari eine Runde, winkte Sainz per Teamorder an Leclerc vorbei. Nur wurde eine Runde später klar: Weil das Tempo so hoch war, hatten alle ein Problem. Auch Sainz brach ein.

Dass Ferrari so früh einbrach, öffnete gar die Tür für Max Verstappen. Der hatte sein Graining minimal weiter hinausgezögert und gewann in zwei Runden fast vier Sekunden auf Leclerc. Die Ferraris landeten nach ihren Stopps in den Runden 9 und 10 auch wie erwartet im Verkehr, das kostete noch eine Sekunde. Plötzlich war Verstappen nach den Boxenstopps Zweiter, dann kam Sainz, dann Leclerc.

Sainz vor Leclerc: Falsche Ferrari-Reihenfolge ab dem Mittelstint?

Leclerc hatte sich mit dem gescheiterten Angriff also durchaus selbstverschuldet hinter Sainz geworfen. Problem nur: Unter dem Strich war Leclerc in Las Vegas wohl der minimal schnellere Fahrer. Sainz verlor im Mittelstint bis Runde 25 gleich einmal weitere 7 Sekunden auf den Führenden Russell, und kam obendrauf früher in die zweite Graining-Phase auf dem harten Reifen. Damit ritt er den ihn wieder einholenden Leclerc noch tiefer in die Problemzone.

Der umsichtige Sainz erkannte das aufziehende Problem aus dem Cockpit und forderte sofort einen Stopp, damit Leclerc nicht auf ihn auflief. Die Box wollte aber diesmal wirklich warten, bis Sainz das Boxenstopp-Fenster gegen den führenden Mittelfeld-Piloten Yuki Tsunoda aufgefahren hatte. In Runde 25 lag Sainz 21 Sekunden vor dem Racing Bull, und damit genau am Rand des Fensters. Nach dem Fiasko des ersten Stopps wollte Ferrari nun wohl erst recht sichergehen.

Die Strategien bei der Formel 1 in Las Vegas, Foto: Pirelli
Die Strategien bei der Formel 1 in Las Vegas, Foto: Pirelli

Das mündete in nur einer einzigen Runde daraufhin im Chaos. Auf der Liste der Strategie-Abteilung landete in Runde 26: Wie stand es um die Sainz-Reifen? Wie um die Leclerc-Reifen? War das Fenster gegen Tsunoda offen? Musste Sainz für Leclerc Platz machen? Was taten die direkten Konkurrenten Verstappen (davor) und Lewis Hamilton (dahinter)?

Das Jonglieren ging schief. Sainz musste Leclerc Platz machen, wurde zum Stopp gerufen, aber Anweisung zu letzterem dürfte geschätzt wohl fünf Sekunden zu spät an die Mechaniker gegangen sein. Dem bereits für die Boxeneinfahrt bremsenden Sainz wurde in letzter Sekunde zugerufen, weiterzufahren. Sonst wären keine Reifen für ihn dagewesen. Durch den um eine Runde verlängerten Stint verlor er jetzt auch einen Platz gegen Hamilton.

Ferrari stoppt wieder zu spät - und provoziert Teamorder-Ärger

Das Chaos schlug in den darauffolgenden Runden weiter Wellen. Leclerc hatte schon eineinhalb Sekunden verloren. Jetzt wurde er länger draußengelassen. In der Theorie bei so schwierigen Bedingungen sinnvoll. Die harten Reifen brauchen stets die Outlap plus die erste fliegende Runde bis ins Arbeitsfenster. Längeres Draußenbleiben könnte also in Form eines Overcuts die Lücke gegen die früher stoppenden Verstappen, Hamilton und Sainz verkürzen.

In der Praxis fiel Leclerc in Runde 29 in die Graining-Phase. Relativ zu Pacesetter Russell verlor Leclerc noch einmal zwei Sekunden. Trotzdem bis Runde 31 zu warten bedeutete, dass er nun auch hinter Hamilton zurückfiel. Den er davor fast den ganzen Mittelstint lang erfolgreich dank besserem Topspeed hatte aufhalten können. Obendrauf kam Leclerc nur wenige Meter vor Sainz aus der Box.

Einmal noch war Ferrari zu spät. Erst an der Boxenausfahrt sagte man Sainz, er solle Leclerc nicht angreifen. Dass er sich darüber hinwegsetzte, ist ihm schwer zu verübeln, auch wenn sich Leclerc lautstark darüber aufregte. Die Box hatte ihre Fahrer in eine fast schon absurde Lage gebracht. Hinter dem zwei Runden lang seine Reifen ins Betriebsfenster bringenden Leclerc war es nicht unwahrscheinlich, dass Sainz weitere eineinhalb Sekunden Rennzeit verlieren würde.

RundenSainz vs. RussellLeclerc vs. Russell
5 bis 8+ 2,306 Sekunden+ 6,359 Sekunden
26 bis 33+ 4,117 Sekunden+ 5,303 Sekunden
Verlorene Zeit+ 6,423 Sekunden+ 11,662 Sekunden

Leclerc für Großteil des Las-Vegas-GP schnellster Mann - Trugschluss?

Bilanz des Desasters: Russell lag 15 Sekunden vor dem ersten Ferrari. Leclerc fehlten gar 18 Sekunden. 11,662 davon hatte er in nur 12 Runden verloren. Verstappen und Hamilton waren durchgerutscht. Im Schluss-Stint waren Sainz und Leclerc schließlich die schnellsten Fahrer unter den Top-5. Obwohl beide etwas Zeit hinter dem passiv auf seine WM bedachten Verstappen verloren, den sie überholen mussten. Leclerc war bis ins Ziel schnellster Mann und gewann 4 Sekunden auf Russell, obwohl er vier Runden lang hinter Verstappen steckte.

RundenSainz vs. RussellLeclerc vs. Russell
10 bis 25+ 6,931 Sekunden- 1,914 Sekunden
34 bis Ziel- 4,754 Sekunden- 4,349 Sekunden
Gewonnene/Verlorene Zeit+ 2,177 Sekunden-6,263 Sekunden

Damit also zurück zum Ursprung der Chaos-Lawine - Leclercs Angriff auf Russell. Hätte Leclerc seine Reifen vorsichtiger angefasst, wäre dann ein Kampf gegen Russell um den Sieg möglich gewesen? Eine Theorie, die der Betrachtung der Mercedes-Rundenzeiten jedoch nicht so recht standhält. Bereits am Ende des ersten Stints zeichnete sich das ab. Selbst Hamilton, der durchweg im Verkehr gefahren war, konnte in Runde 11 noch konstante Rundenzeiten fahren.

Das hatte an dem Zeitpunkt sonst keiner mehr geschafft. Russell unterstrich es am Ende seines Mittelstints genauso deutlich. Er stoppte nur schon in Runde 32, weil alle anderen schon da gewesen waren. Nicht, weil er Graining hatte. "Wir konnten pushen, wann wir wollten", beschreibt Mercedes-Teamchef Toto Wolff. "Und kein Graining kam. Weder auf dem Medium noch auf dem Hard."

Mercedes gewinnt Las Vegas dank perfektem Wetter

"Wir hatten kein einziges Anzeichen von Graining oder Verschleiß", versichert Wolff. Die Kombination von kühlem Wetter und dem rutschigsten Asphalt des Jahres waren schlicht perfekt für den Mercedes. Nicht vergessen: Sainz folgte am Start nicht einmal zwei Runden später dem Leclerc-Schicksal. So trieb Russell hier wohl auch mit seiner hohen Schlagzahl Ferrari in das so frühe Graining auf dem Medium. Zu diesem Tempo war in Wahrheit nur der Mercedes in der Lage.

Einen logischen Weg zum Sieg gibt es für Ferrari also nicht. Hintenraus auf dem harten Reifen war man Mercedes maximal ebenbürtig. Das ändert aber auch nichts daran, dass jeder der vier Boxenstopps schlecht gesetzt war, wodurch man sich strategisch hinter Hamilton befördern ließ. Dass man diesen zumindest dank eines guten Topspeeds hinter sich halten hätte können, hatte Leclerc im Mittelstint gezeigt.