Aprilia wurde bereits am ersten Tag der MotoGP-Testfahrten in Sepang schwer gebeutelt. Neben dem Ausfall von Raul Fernandez schmerzte vor allem die frühe Verletzung von Starzugang Jorge Martin. Der Sturz des Weltmeisters entfachte erneut ein Dauerthema in der MotoGP: Die Reifen. Der nächste Streit mit Michelin droht zu eskalieren.

Aprilia misst falsch? Reifenkerntemperatur entscheidendes Maß

Gleich nach dem Sturz am Mittwoch attackierte Aprilia-Boss Massimo Rivola den Reifenlieferanten und machte die Franzosen für die Verletzung seines Stars verantwortlich. Erst am dritten Tag der Testfahrten stand dann Michelins-Sportdirektor Piero Taramasso Rede und Antwort. "Aprilia hat uns alle Daten zur Verfügung gestellt. Wir haben sie alle analysiert und es ist eine ganze Menge. Das hat eine Weile gedauert", begründete der Italiener. Bis dahin war das Thema im Paddock, aber natürlich auch bei Social Media & Co., hochgekocht.

Knochenbrüche für Martin, Fernandez, Diggia (06:41 Min.)

"Ich möchte über die Temperatur im Reifenkern sprechen. Massimo [Rivola] sagte, dass die Reifentemperatur in Ordnung war. Da ging es aber im die Oberflächentemperatur und diese schwankt sehr, je nach dem Rutschen und auch dem Durchdrehen des Reifen am Heck", erklärte Taramasso. Und stellte klar: "Die Temperatur, die wir benutzen, um zu sagen, ob der Reifen funktioniert, ist die im Inneren."

Jorge Martins Sturz erklärt: Die Auswirkungen von 15 Grad im MotoGP-Reifen

Und hier zeigte der Sensor ein klares Bild: "Bevor Jorge die Box bei seinem letzten Run vor dem Crash verlassen hat, war die Reifentemperatur 15 Grad niedriger. 15 Grad, das ist ganz schön viel." Bei sonst etwa 100 Grad im Kern eines Reifen ist dies eine beträchtliche Abweichung. "Manchmal sehen wir diese Dinge schon mit 5 Grad weniger passieren. Am Limit machen schon 5 Grad einen Unterschied", betont Taramasso die Sensibilität des schwarzen Goldes.

Michelins Reifen sind sensibel, Foto: LAT Images
Michelins Reifen sind sensibel, Foto: LAT Images

"Das geht dann zusammen mit den Streckenbedingungen. Es war sehr rutschig, windig und 'kalt'. Wir hatten 30 Grad auf dem Asphalt, normalerweise sind es hier [in Sepang] 50 Grad. Dazu hatten wir über Nacht Regen, also befand sich die Strecke in schlechtem Zustand. Mit einem nicht bereiten Reifen passiert dann dieser Sturz", kommt er letztlich zu seiner Erklärung des Unfallhergangs.

Taramasso deutet an: Aprilia ist selbst schuld

Damit wäre dies geklärt, aber nicht die Verantwortlichkeit für den Sturz und die daraus resultierende Verletzung des amtierenden Champions. Und hier wird die Sache spannend. Im Gegensatz zu Rivola geht Taramasso sein gegenüber nie direkt an, doch seine Aussagen gehen klar in eine Richtung. "Jeder hatte den Medium drauf, alle hatten dieselben Bedingungen. Außerdem wurde der Medium bereits im Shakedown vielfach gefahren", fing er an.

"Wir hatten vier Stürze an diesem Morgen. Drei davon gingen über die Front. Nur Jorge verlor das Heck", ging es weiter. Und dann noch der offensichtlichste Wink mit dem Zaunpfahl: "Im Moment seines Sturzes haben wir seine Reifentemperatur mit der von Marco Bezzecchi, der zur gleichen Zeit auf demselben Motorrad auch den Medium-Hinterreifen hatte, verglichen. Auch er hatte 15 Grad weniger." Soll wohl heißen: Aprilia hatte die Reifen schlicht nicht genug vorgewärmt.

Marco Bezzecchi beim Test in Sepang
Marco Bezzecchis Reifen war auch zu kalt, Foto: MotoGP

Aprilia wiederspricht Michelin: Können die Daten nicht bestätigen!

Für Taramasso selbst war die Sache damit erstmal erledigt: "Ich habe mit ihnen gesprochen und sie verstehen es. Was wir ihnen gezeigt haben, sind die Daten. Es sind die nackten Zahlen, nicht meine Meinung." Doch der Italiener irrt sich in seiner Einschätzung von Aprilia. Das Team wählte einen - für MotoGP-Verhältnisse - außergewöhnlichen Schritt. Sie gingen Taramasso und Michelin nicht einfach nur in einem Interview oder in einer Medienrunde an, sondern in ihrer offiziellen Pressemitteilung zur erfolgreichen Operation an Martins Hand. Mehr zum medizinischen Teil hier:

"Bezüglich des Sturzes möchte ich klarstellen, dass unsere Daten in keiner Weise die Aussagen von Piero Taramasso bestätigen. Ich bin der Meinung, dass die Sicherheit der Fahrer Vorrang haben sollte, und ich habe ihm bereits vorgeschlagen, ein Treffen mit allen Teams anzusetzen, um konstruktiv mit dieser offensichtlich kritischen Situation umzugehen, die durch die Zahl der Verletzten belegt wird", wird Rivola dort zitiert.

Eine volle Breitseite gegen Michelin, aber bei weitem nicht die erste in den letzten Jahren. Francesco Bagnaia hatte den Reifenhersteller für seinen schweren Sturz in Barcelona 2023 verantwortlich gemacht und Antworten verlangt, die er nie bekam. Und auch Jorge Martin selbst lag schon im Clinch mit den Franzosen. 2023 baute sein Reifen im Katar GP gewaltig ab, woraufhin er von einer 'gestohlenen WM' sprach. Nun bahnt sich also die nächste unschöne Episode des Dauerstreits zwischen Fahrern und Teams mit ihrem Reifenlieferanten an.

Der Sturz von Martin und die Aussagen von Piero Taramasso waren natürlich nur ein Thema des finalen Testtages in Malaysia. Die weiteren wichtigen Entwicklungen haben wir in unserem Video für euch zusammengefasst:

Yamaha wieder im MotoGP-Spitzenfeld: Beeindruckende Steigerung (08:23 Min.)