Beim Großen Preis der Niederlande legte Lando Norris eine dominante Siegesfahrt hin. 22,896 Sekunden vor dem amtierenden Weltmeister überquerte der McLaren-Pilot nach 72 Runden die Ziellinie des Circuit Zandvoort. Ausgerechnet dort, wo bisher Max Verstappen regierte. 2021, 2022, 2023 - in allen drei Ausgaben seit dem Comeback des Rennens in Zandvoort triumphierte der Niederländer. Jetzt aber stehen die Zeichen der Formel 1 auf Machtwechsel. Motorsport-Magazin.com -Experte Christian Danner ist überzeugt von der Wende: "Lando Norris wird immer besser. Er kann dieses Jahr noch Weltmeister werden." In der neuen Ausgabe des 'AvD Motorsport-Magazins' erklärt er, warum.

Trotz 70 Punkten Vorsprung von Max Verstappen: Fahrer-WM ist offen!

Der Grundstein für den Titel ist ein schnelles Auto und McLaren kam aus der Sommerpause definitiv mit dem schnellsten Auto im Feld. Daran ließ die dominante Vorstellung in Zandvoort keinen Zweifel. Aufgrund dieses neuen Kräfteverhältnisses ist der Titelkampf für Danner noch lange nicht entschieden. "Natürlich kann er [Lando Norris; Anm. d. Red.] noch Weltmeister werden", beharrt der Experte. "Ich würde sagen, das ist nach wie vor offen."

Wenngleich er mit Blick auf den WM-Stand zugeben muss: "Ja, Verstappen hat klare Vorteile. Er hat immer noch einen ordentlichen Vorsprung." Nichtsdestotrotz traut der ehemalige Formel-1-Fahrer McLaren das Weltmeister-Potenzial zu. Das Fahrzeugpaket, das sie haben, sei allemal gut genug, um zu gewinnen. Das Team müsste lediglich noch an kleinen Stellschrauben drehen - wie etwa der Startthematik, der Strategie oder den Qualifying-Runden, so Danner. "Dann wird es schon eng für Verstappen."

Auf der anderen Seite warnt Danner dringend davor, Red Bull zu unterschätzen. Denn das amtierende Weltmeister-Team hätte sicher auch noch ein paar Asse im Ärmel. Was den Experten fasziniert? "Dass Red Bull jetzt gefordert ist." Vor allem müsse der neue Technikdirektor Pierre Waché jetzt, wo Adrian Newey nicht mehr mit Rat und Tat zur Seite steht, beweisen, was er kann, meint Danner. Denn jetzt zeige sich ihm zufolge: "Ist die Substanz bei Red Bull mit den vielen Ingenieuren und der tollen Infrastruktur - ist das gut genug, um noch einmal ein paar Brickett nachzulegen, wenn es um den WM-Titel geht?"

Wen hätte der Formel-1-Experte statt Logan Sargeant in den Williams gesetzt und warum ist Sauber so katastrophal schlecht? Die Meinung von Christian Danner zu den wichtigsten Themen nach dem Großen Preis der Niederlande gibt es im Video:

Christian Danner: Williams sollte Sargeant sofort austauschen! (33:38 Min.)

Danner verteidigt McLaren-Fahrer: Startschwierigkeiten kein mentales, sondern technisches Problem!

Trotz des überlegenen Siegs sah es in Zandvoort vom Start weg zunächst wieder so aus, als würde Norris seinen zweiten Karriereerfolg von der Pole-Position aus verschenken. Seine Startschwierigkeiten, die er in beinahe jedem der vergangenen sechs Rennen zeigte, musste sich der Brite wiederholt zum Vorwurf machen lassen (Stichwort: Barcelona). Danner hat sich die Situation am Start zwischen Norris und Verstappen deshalb im Detail angesehen: "Die ersten paar Meter waren beide gleich schnell und dann trat der Moment ein, in dem Verstappen überholt hat. Die Reaktionszeit war identisch, die ersten paar Meter haben die Autos gleich schnell beschleunigt und dann war Verstappen in einer ganz anderen Liga."

Für seine Analyse zog der Experte auch den Start des McLaren-Teamkollegen als Vergleich heran und erkannte dabei: "Etwas weiter hinten ist dem Oscar Piastri genau dasselbe passiert." Der MCL38 gerät beim Startprozedere gegenüber seinen direkten Konkurrenten also immer ins Hintertreffen. Das Problem? Durchdrehende Räder. Danner führt dies auf die Charakteristik der Motoreinstellung zurück: "Da kann der Fahrer nicht viel machen. Beide McLaren-Fahrer sind gut gestartet und beide kamen nicht wirklich vorwärts. Das muss man bei McLaren analysieren. Ich glaube, das liegt an der Motor-Charakteristik und all dem, was dazugehört." Den Vorwurf einer mentalen Schwäche des 24-jährigen McLaren-Fahrers beim Start, der oftmals vorgebracht wird, sieht der Experte nicht als gerechtfertigt an.

Norris beeindruckt Danner: Er ließ Verstappen wie einen Anfänger aussehen!

Imponiert hat Danner insbesondere die Ruhe und Coolness, mit der Norris den Niederlande-GP angegangen ist. Der Brite habe gezeigt, dass er gelernt hat, mit Drucksituationen umzugehen, so Danner. Norris habe den Speed des Autos umsetzen können, indem er erst einmal geduldig hinter Verstappen blieb und dabei darauf achtete, die Reifen nicht zu überhitzen und auch sonst keinen Fehler zu machen. Dann, als alles bereit war, habe er zum Angriff angesetzt, sei konsequent neben seinen Kontrahenten gefahren, habe problemlos überholt und sich dann abgesetzt, rekapituliert Danner den Hergang des entscheidenden Überholmanövers in Runde 18.

Lando Norris (McLaren) überholt Max Verstappen (Red Bull)
Spielend leicht holte sich Lando Norris in der Tarzan-Kurve die Führungsposition zurück, Foto: LAT Images

"Er [Norris; Anm. d. Red.] hat ihn [Verstappen; Anm. d. Red.] stehen lassen wie einen Anfänger. Da war ich sehr beeindruckt, dass er das so cool hinbekommen und auch so gut vorbereitet hat", bewundert der Formel-1-Experte das Manöver von Norris. "Das war ganz cool geplant. Genauso muss man das machen."

Aber ein anderes Detail im Rennen des McLaren-Piloten begeisterte den deutschen Rennfahrer sogar noch mehr: "Was echt der Hammer war, war die schnellste Runde in der letzten Runde. Das waren wirklich nicht mehr die besten Reifen. Er hat sich das [Rennen; Anm. d. Red.] so gut eingeteilt, dass er in der allerletzten Runde nochmal eine Runde gefahren ist, die schneller war als das, was Hamilton auf weichen Reifen gefahren ist. Da war ich schon baff. Das überzeugt mich." Deshalb bekräftigt der Experte mit Nachdruck: "Ja, der Lando Norris hat WM-Chancen, denn er ist inzwischen auch abgebrüht und das sieht man an solchen Kleinigkeiten ganz gut."

Norris die klare Nummer 1 bei McLaren - Reue für Teamorder in Ungarn?

Vor allem im Vergleich zu Norris’ jüngerem Teamkollegen habe sich gezeigt, dass die Besonnenheit, die der Brite im vergangenen Rennen an den Tag legte, nicht selbstverständlich sei, meint Danner. Piastri hätte seiner Meinung nach auf jeden Fall eine Podiumsplatzierung erreichen müssen. Der Australier hat aber zunächst mit George Russell gekämpft und später gegen Charles Leclerc den Kürzeren gezogen. "Da hat man den Unterschied zwischen Spitzenfahrer und sehr, sehr gutem Fahrer bei McLaren deutlich gesehen. Das sind die Dinge, die den Unterschied machen", bewertet der Experte das Duo Norris und Piastri.

Folgerichtig habe McLaren-CEO Zak Brown Norris jetzt als Nummer eins im Team ausgegeben. Beim Formel-1-Rennen in Ungarn war sich das Team über die Rangordnung noch nicht ganz im Klaren und hat mit einer Teamorder für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. 7 WM-Punkte, die im Titelduell gegen Verstappen noch entscheidend werden könnten, sind Norris damit durch die Lappen gegangen. Danner glaubt dennoch nicht, dass man die damalige Entscheidung am McLaren-Kommandostand im Nachhinein bereue: "Ich glaube nicht, dass man dem nachtrauert." Für den Experten sei die Entscheidung in Budapest eine im Sinne des Rennsports gewesen. Allerdings könnte diese dem erstmaligen WM-Aspiranten noch teuer zu stehen kommen...

Schon nach dem Ungarn-GP haben wir mit dem Formel-1-Experten über die Fairness der McLaren-Teamorder diskutiert. Wie Danner die Situation im Rennen damals analysierte, seht ihr hier:

War die McLaren-Teamorder fair? (10:35 Min.)