Hat sich Red Bull mit Daniel Ricciardo in den WM-Kampf eingemischt, oder handelte es sich um ein liebgemeintes Abschiedsgeschenk? Die Debatte rund um das Red-Bull-Konstrukt und die Kontrolle über zwei Teams ist seit dem Singapur GP neu entfacht. Panikmache oder Skandal? Ist die Konstellation von Red Bull und den Racing Bulls fair? Die Motorsport-Magazin.com -Redakteure Markus Steinrisser und Moritz Wimmer debattieren.
Unnötige Panikmache und klassische Formel-1-Paranoia
Lassen wir die Kirche einmal im Dorf. Jedes Mal, wenn die Toro-Rosso-AlphaTauri-Racing-Bulls-X-Geschichte mit berechenbarer Regelmäßigkeit wieder aufgewärmt wird, stehen Leute wie Zak Brown auf der Matte und schlagen Alarm. Aber war das Team je wirklich eine Bedrohung für die Integrität der Formel 1? Nüchtern betrachtet sehe ich keinen Grund, das zu behaupten.
Das Team wird auf sportlicher Seite nicht permanent als Störer durch das Feld getrieben, sondern fährt eigentlich immer sein eigenes Rennen. Lando Norris holte vor Singapur drei schnellste Runden in Serie. Daniel Ricciardo war auch dort stets am Ende in eher aussichtslosen Positionen und damit in der Lage, zwei Runden vor Schluss noch einmal zu stoppen. Getan hat er es nur in jenem GP, der wohl sein letzter gewesen sein wird.
Überhaupt: Kevin Magnussen hatte den Trick kurz davor auch versucht, scheiterte bloß an den Track Limits. Fährt er auch für Max Verstappen? Nein, er tat das wahrscheinlich, weil er 2018 und 2019 hier die schnellste Runde holte und es eine lustige statistische Fußnote seiner Karriere wäre. Hin und wieder folgen Mittelfeld-Teams ihrer eigenen Logik. Die Vorstellung, dass der Red-Bull-Kommandostand anruft, entbehrt jeder Grundlage.
Für echtes sportliches Fehlverhalten gibt es ohnehin im Internationalen Sportkodex einen sehr offenen Ethik-Paragrafen (12.2.1.l), mit dem man bestrafen könnte. Zur Kooperation auf technischer Seite: Es gibt ein Regelwerk, das bietet einen vernünftigen Rahmen für Kundenteams, und der wird eingehalten. Zu den Fahrerverträgen: Klar spricht man die mit Red Bull ab. Das ist eine interne Sache, ich wüsste nicht, inwiefern das ein Problem für die Konkurrenz sein müsste. Zum Kommerziellen: Dieses Team war lange kein gewinnbringendes Unterfangen ...
Der letzte Punkt verdeutlicht auch, warum es unfair wäre, jetzt einen Verkauf zu erzwingen, wo es wirtschaftlich besser läuft. Wenn es schließlich noch um politische Allianzen geht, so ist die durch ein zweites Team errungene Macht sicher von Vorteil, aber nicht zwingend entscheidend. In der regelentscheidenden F1-Kommission konstituieren 28 von 30 Stimmen eine Supermehrheit. Selbst mit zwei Stimmen (eine pro Team) kann Red Bull also im Alleingang trotzdem nur das stoppen, was Einstimmigkeit verlangt.
Markus Steinrisser
Nicht mehr zeitgemäß: Das Red-Bull-Konstrukt macht die Formel 1 lächerlich
Zwei Teams, die vom selben Konzern geleitet werden, treten in derselben Meisterschaft gegeneinander an. In anderen Sportarten wäre so eine Konstellation undenkbar, in der Formel 1 ist das vollkommen normal. Ich frage mich schon seit Jahren, warum der Aufschrei diesbezüglich nicht größer ist. Denn selbst wenn Red Bull sein zweites Team nicht in die Meisterschaft einmischen lassen würde, was nach dem Singapur-GP alles andere als deutlich ist, ist die Tatsache, dass es theoretisch überhaupt möglich wäre, ein Skandal in sich.
Ich weiß, Vergleiche zum Fußball hinken oft, aber hier passt er meiner Meinung nach wie die Faust aufs Auge. Die Gesellschafter-Gruppe, die den englischen Top-Klub Manchester City besitzt, ist gleichzeitig Inhaber von anderen Fußballvereinen. Doch jetzt kommt der Unterschied zur Formel 1: Jedes Team, das sich im Besitz der Gesellschaft befindet, tritt in einer unterschiedlichen Liga an. Ganz einfach, weil es nicht erlaubt ist – weil es unfairen Maßnahmen Tür und Tor öffnet. Dass es in der Formel 1 keine derartigen Regeln gibt, macht die 'Königsklasse des Motorsports' im Vergleich zu anderen Sportarten international lächerlich.
Ob es in Singapur im Zuge der Fastest Lap von Ricciardo zu einer Beeinflussung seitens Red Bull kam, wissen wir nicht. Verdächtig war es allemal. Und es war auch nicht das erste Mal. Im engen Meisterschaftskampf der Saison 2021 zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton war Verstappen nach einer Grid-Strafe im Katar-GP auf das Heck des damaligen AlphaTauri-Piloten Pierre Gasly aufgelaufen. Wie es der Zufall so wollte, hatte Gasly genau dann auf der Geraden vergessen, seinen DRS-Mechanismus zu aktivieren. Erst als Verstappen schlussendlich mühelos vorbei war, stellte Gasly noch für ein paar Meter den Flügel flach. Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und behaupte, wäre Hamilton hinter Gasly gewesen, hätte der Franzose den DRS-Knopf deutlich früher gefunden.
Die Möglichkeiten, die Red Bull hat, nämlich dass es bei Bedarf mit vier Autos gegen die Konkurrenz arbeiten kann, hat in dieser Form kein anderes Team. Klingt das auch nur im Ansatz fair? Wer diese Frage bejaht, dem ist bei allem Respekt auch nicht mehr zu helfen.
Ich bin mir sicher, auch Red Bull selbst weiß um den enormen Vorteil, den sie dadurch erlangen. Das damals stark strauchelnde Minardi zu übernehmen und sich damit ein Juniorenteam heranzuziehen, war ein überragender Schachzug von Mateschitz und Co. Das Team und Arbeitsplätze wurden gerettet, die Formel 1 war dankbar über das Investment des Riesenkonzerns in einer Zeit, in der der Sport finanziell angeschlagen war. Im gleichen Atemzug schuf man sich eine Top-Möglichkeit zur Verbesserung der eigenen Talentschmiede. Bedenken über Fairness wurden da ignoriert, oder besser gesagt: Es gab sie überhaupt nicht.
Nun sind wir aber nicht mehr im Jahr 2006. Die Formel 1 ist rentabel wie nie, Teams streiten sich stärker denn je, in den Sport zu kommen, doch ein B-Team, das dank seiner DNA nie um den Titel kämpfen wird, blockiert einen mittlerweile so wertvollen Platz. Die Formel 1 ist nicht mehr auf das Red-Bull-Schwesterteam angewiesen. Es wäre meiner Meinung nach an der Zeit, von der FIA zu sagen: Danke, Red Bull, ihr habt uns damals sehr geholfen, aber wir müssen die Fairness zweifelsfrei gewährleisten. Einfluss auf zwei Teams zu haben, ist nicht mehr erlaubt.
Im Englischen gibt es einen Satz, der oft im Sportkontext verwendet wird: 'Don't hate the player, hate the game.' Bedeutet sinngemäß, dass man nicht den Leuten, die ein vorhandenes Regelwerk clever zu ihrem Vorteil ausnutzen, einen Vorwurf machen sollte, sondern die Regeln angepasst werden müssen. Und das ist mir zum Abschluss wichtig zu betonen: Red Bull bzw. den Racing Bulls ist kein Vorwurf zu machen, sie bewegen sich im vollkommen legalen Raum des Regelwerks. Es liegt an der FIA, das Regelwerk diesbezüglich zu ändern, damit der Sport, den wir alle so sehr lieben, fairer wird.
Moritz Wimmer
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