"Wir können als Team noch weiter zusammenwachsen, haben gerade eine Menge Selbstvertrauen. Das letzte, was ich jetzt wollen würde, wäre über einen Wechsel nachzudenken", hatte Maverick Vinales Ende April in Jerez noch gesagt, nachdem er knapp zwei Wochen zuvor seinen ersten Grand-Prix-Sieg für Aprilia eingetütet hatte. Eine Vertragsverlängerung schien nur noch Formsache, hatte es in Austin doch endlich 'geklickt' und 'Top Gun' erstmals auf der RS-GP sein ganzes Potenzial entfaltet. Doch es kam alles ganz anders: Nur knapp fünf Wochen nach jener Aussage verkündeten plötzlich KTM und Tech3 Racing die Verpflichtung des 29-Jährigen.

Eine Nachricht, die nicht nur MotoGP-Fans, -Experten und -Journalisten überraschte, sondern eben auch Vinales' langjährigen Arbeitgeber Aprilia, welcher ihn nach seinem Yamaha-Rauswurf im Herbst 2021 mit einem Rettungsanker vor dem MotoGP-Aus gerettet hatte. Denn auch die Italiener hätten sehr gerne mit Vinales verlängert, nachdem sie in den Wochen zuvor bereits ihren längjährigen 'Teamcaptain' Aleix Espargaro verloren hatten. Dieser beendet seine aktive Rennfahrer-Karriere mit Saisonende und wird ab 2025 Testfahrer bei Honda. Gleich beide Werkspiloten ersetzen zu müssen, war nie das Wunschszenario bei Aprilia.

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Aprilia-CEO Rivola: Schade, ein Talent wie Vinales zu verlieren

Und doch wurde mit dem Abgang von Vinales eben genau nötig. Zum Bruch zwischen den beiden Parteien, die noch knapp vier Monate und elf Rennwochenenden zusammen absolvieren müssen, kam es seither aber nicht. Im Gegenteil: Aprilia-Racing-CEO Massimo Rivola beteuerte zuletzt, dass es kein böses Blut mit Vinales gebe - auch wenn er seinen Schützling gerne noch einige Jahre behalten hätte: "Ich finde es sehr schade, ein Talent wie Maverick zu verlieren. Ich hätte gerne noch viel mehr solche Momente wie in Austin gesehen und bin auch bereit zu wetten, dass wir das bis zum Ende der Saison noch sehen werden."

Damit spielt Rivola wohl auch auf eine Aussage Vinales' im Speziellen an. Dieser hatte seinen Aprilia-Abgang vor der Dutch TT Ende Juni nämlich wie folgt begründet: "Nach Austin war ich schockiert, wozu ich fähig sein kann - aber eben nur in einem von 20 Rennen. Das hat mir nicht gefallen, ich will das viel häufiger schaffen." Im Anschluss an den Amerika Grand Prix hatte es 'Top Gun' nur noch in den Sprints von Le Mans und Assen unter die besten Drei geschafft. Davon abgesehen blieben weitere Spitzenresultate aus. "Ich habe dann für mich überlegt, welches Motorrad in der Weltmeisterschaft das nächste große Ding sein wird und habe mich entsprechend entschieden", erklärte Vinales seinen Wechsel zu KTM.

Eine durchaus mutige Aussage, konnte Aprilia doch in den vergangenen 18 Monaten als einziger Hersteller neben Ducati einen Grand Prix gewinnen, während KTM seit fast zwei Jahren auf einen GP-Sieg in der MotoGP wartet - länger als beispielsweise Honda oder Suzuki. Umso überraschender kam die Abgangsverkündung daher für seinen langjährigen Teamkollegen Aleix Espargaro, der dies zwar nicht aussprechen wollte, zwischen den Zeilen aber schon ganz klar durchklingen ließ, Vinales' Entscheidung nicht nachvollziehen zu können. "Nachdem Aprilia sich entschieden hatte, Jorge [Martin] zu verpflichten, habe ich Maverick angerufen und ihm gesagt, dass er bleiben muss, weil das nun das stärkste Team im Paddock werden würde. Dass er gemeinsam mit Jorge die Weltmeisterschaft gewinnen könnte", verrät Aprilias MotoGP-Premierensieger. "Ich finde es sehr schade, denn ich hätte ihn gerne in einem Team mit Jorge gesehen."

Maverick Vinales feierte bislang einen GP-Sieg mit Aprilia, Foto: LAT Images
Maverick Vinales feierte bislang einen GP-Sieg mit Aprilia, Foto: LAT Images

Vinales-Abgang ermöglicht Aprilia-Traum: Italiener auf der RS-GP!

Gleiches gilt auch für Rivola. Aprilias Racing-CEO ließ am Rande der Verkündung von Marco Bezzecchi - der Italiener wird Vinales ab 2025 ersetzen - aber auch verlautbaren, warum ihn der Verlust von Vinales nicht lange ärgern wird: "Ich respektiere die Entscheidung von Maverick, auch wenn sie sehr schade ist. Aber sie hat uns auch die Möglichkeit geschaffen, einen italienischen Fahrer zu holen und dann gleich noch einen solch guten." Rivola hatte schon seit geraumer Zeit mit dem Gedanken gespielt, einen Italiener nach Noale zu bringen. Enea Bastianini galt lange als Wunschkandidat, entschied sich letztlich aber ebenfalls zum Wechsel zu Tech3 KTM.

Dadurch schnappte sich Aprilia dann eben den letztjährigen WM-Dritten Bezzecchi und sieht sich damit für die Zukunft gut gerüstet. "Es ist natürlich nicht ideal, gleich zwei Fahrer austauschen zu müssen. Aber ich denke, dass wir mit zwei solch talentierten Piloten auf die richtigen Pferde gesetzt haben", meint Rivola und sieht daher auch kein Problem, die Saison 2024 nicht auf anständige Art und Weise mit dem zur Konkurrenz wechselnden Vinales zu Ende bringen zu können. "Wir werden in den letzten Rennen einen kämpfenden Maverick sehen", kündigt er an und ergänzt: "Wir werden unsere gemeinsame Geschichte auf einem Hoch beenden."

Warum Jorge Martin auf der RS-GP sogar noch mehr aufblühen könnte als zuletzt auf der Ducati, erfahrt ihr in folgendem Artikel: