Ferrari gewinnt die 24 Stunden von Le Mans. Doch nach dem Rennen hagelt es von vielen Motorsport-Fans Kritik an der Rennleitung und an den Sportkommissaren. Sogar Betrug oder eine Beeinflussung der Rennergebnisses wird den Stewards vielfach vorgeworfen. Zurecht?

Die strittige Situation ereignete sich um 13:53 Uhr, also 2:07 Stunden vor Rennende. Nicklas Nielsen im #50-Ferrari, der später das Rennen gewann, verließ seine Box und wollte nach links auf die Fastlane einlenken. Dort befand sich aber bereits ein LMP2-Fahrzeug: Der Cool-Racing-Oreca #37 (Fluxa/Jakobsen/Miyata).

Unsafe Release oder nicht? Das sagten die Stewards

Der herankommende LMP2-Wagen trat auf die Bremse, Nielsen erkannte im letzten Moment auch die Gefahr und zog nicht auf die Fastlane. Doch in diesem Moment hatte der Oreca bereits gebremst. Nielsen trat anschließend vor der Boxenausfahrt auf die Bremse und ließ dem Cool-Racing-Auto die Vorfahrt.

Die Stewards untersuchten den Vorfall und kamen zur Entscheidung, dass sich Nielsen für den Vorfall keine Strafe verdient hatte. Es handelte sich in ihren Augen also um keinen Unsafe Release und das obwohl sie selbst festhielten, dass Nielsen entgegen der Anweisung seiner Boxencrew losgefahren war.

Ihre Argumentation: Obwohl Nielsen nach links fuhr, kam er nie auf die Fastlane in der Boxengasse. "Wagen #50 fuhr nie auf die Fast Lane und war nie eine Gefahr für Wagen #37", begründeten die Stewards ihre Strafe.

Laut Argumentation der Stewards habe #37 also vorsorglich verlangsamt, obwohl für ihn keine echte Gefahr bestand. Die Video-Aufnahmen lassen nicht ganz abschätzen, ob der Ferrari tatsächlich bereits die Linie überschritten hatte, welche die Fast Lane vom Rest der Boxengasse abtrennt. Die Video-Aufnahmen zeigen aber, dass das #37-Auto eine Wagenbreite Platz gehabt hatte, um an dem Ferrari vorbeizukommen und somit nicht notwendigerweise verlangsamen hätte müssen.

Le-Mans-Reglement unklar: Was ist überhaupt ein 'Unsafe Release'?

Das sportliche Reglement, welches bei den 24 Stunden von Le Mans zum Einsatz kommt und welches von den Stewards zitiert wird, ist nicht wirklich aussagekräftig, was die Definition eines "Unsafe Release" angeht. Dort ist an einer Stelle definiert, dass der "Auto-Kontrolleur" (der Lollipop-Mann) für das Entlassen des Fahrzeugs verantwortlich ist. An einer anderen, dass Autos in der Fast-Lane Vorrang genießen. Weitere Details werden nicht genannt.

Zweiteres erfüllte Nielsen auf jeden Fall, da er verlangsamte und das andere Auto vorließ, was die Stewards in ihrer Begründung hervorhoben. Für die Stewards war es für den Tatbestand eines 'Unsafe Release' offenbar nicht ausreichend, dass die #37 präventiv auf eine mögliche Behinderung reagierte und dadurch Zeit verlor.

Für Nielsen war es übrigens nicht der erste derartige Vorfall im Rennen: Am Samstag kassierte er bei seinem ersten Boxenstopp eine Strafe dafür, dass er einen Cadillac bei der Boxenausfahrt den Weg abgeschnitten hatte. 10 Sekunden bekam er deshalb für den nächsten Boxenstopp aufgebrummt.

Die Argumentation der Stewards deckt sich mit dem Freispruch am Sonntag: "Die Stewards entschieden, dass Auto #50 aus seiner Arbeitsfläche (Pitbox) in einer unsicheren Art losgelassen wurde, indem er Auto #3 (der Cadillac) keinen Vorrang einräumte." Am Sonntag tat er dies.

Hätte eine Strafe Ferrari den Le-Mans-Sieg gekostet?

Doch auch unabhängig davon, ob es bestrafungswürdig ist oder nicht: Die Stewards vergaben an diesem Wochenende für derartige Vergehen jeweils 10-Sekunden-Strafen. Der #50-Ferrari mit Nielsen gewann das Rennen schließlich mit 14 Sekunden Vorsprung vor dem #7-Toyota, wovon er circa sechs Sekunden durch eine betont vorsichtige und spritsparende Fahrweise auf der letzten Runde verlor.

Auch nach seinem nächsten Boxenstopp hatte Nielsen mehr als zehn Sekunden Abstand hinter sich und hätte im Falle einer 10-Sekunden-Strafe keine zusätzliche Position verloren. Heißt unter dem Strich: Der Sieger hätte sich wohl auch bei einer Bestrafung des Ferraris nicht verändert.

Ferrari-Tür gefährdet Sieg

Der Ferrari-Sieg geriet schließlich durch eine andere Aktion in Gefahr: Die Rennleitung stellte fest, dass die Tür des Ferraris auf einer Seite offen war und wies das Team etwas später deutlich an, dass er an die Box fahren müsse, falls er die Tür nicht schließen kann. Nielsen gelang es nicht und er legte einen Boxenstopp ein, der ihn auf dem darauffolgenden Stint zum Benzinsparen zwang, um das Rennen mit nur einem weiteren Boxenstopp durchzubringen.

Auch hier gibt es einen Referenz-Fall in der WEC: Beim 6-Stunden-Rennen in Spa in diesem Jahr, litt Neel Jani im Proton-Porsche am selben Problem. Nach drei Runden gelang es ihm, die Tür selbständig zu schließen. In Le Mans wurde Ferrari in Runde 283 über die offene Tür informiert und in Runde 284 aufgefordert an die Box zu fahren. Dieser Anweisung leistete Nielsen auf derselben Runde Folge.