Mit den 24 Stunden von Le Mans hat die Langstrecken-Weltmeisterschaft nicht nur ihr Highlight des Jahres erlebt, sondern ebenso die erste Hälfte der WEC-Saison 2024 abgeschlossen. Nach dem Saisonauftakt in Katar, Imola, Spa-Francorchamps und Le Mans, warten vier weitere Rennen in Sao Paulo (14. Juli), Austin (01. September), Fuji (15. September) und Bahrain (02. November).

Zeit für ein Zwischenfazit zu Mick Schumachers erster und womöglich letzter Saison auf der Langstrecke. Der 25-Jährige, der in Bälde zum ersten Mal ein Formel-1-Auto von Alpine testen darf und den Weg zurück in die F1 sucht, hat zusammen mit dem französischen Autobauer sein Renndebüt in der Hypercar-Klasse gefeiert. Alpine bestreitet dieses Jahr seine Premiere mit dem nach dem IMSA-Reglement entwickelten, 680 PS starken LMDh-Auto namens A424.

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Mick Schumacher und Co. noch ohne WM-Punkte

Betrachtet man die reine Punkteausbeute, können Schumacher und seine Endurance-erfahrenen Teamkollegen Nicolas Lapierre und Matthieu Vaxiviere nicht zufrieden sein: Das Trio auf dem Alpine mit der Startnummer #36 hat bisher keinen einzigen WM-Zähler erzielt. Damit teilen sie sich die 'rote Laterne' mit dem #15 WRT-BMW (Vanthoor/Marciello/Wittmann), dem #94 Peugeot 9X8 (Vandoorne/Di Resta/Duval) sowie dem einzigen Entry von Isotta Fraschini.

Experten hatten Alpine mit seinen zwei brandneuen LMDh-Autos eine schwierige Debütsaison vorhergesagt. Im Reigen der acht Hypercar-Hersteller um die frischgebackenen Le-Mans-Sieger von Ferrari, WM-Spitzenreiter Porsche, Toyota oder Cadillac haben die Neueinsteiger Alpine, Lamborghini und WEC-Debütant BMW kein leichtes Spiel. Dass auch die Technik ein Thema ist, zeigten die vorzeitigen Alpine-Ausfälle bei den 24 Stunden von Le Mans in Folge von Motorschäden.

Ausfall #36 Alpine mit Mick Schumacher, Lapierre, Vaxiviere
Komplettausfall für Alpine bei den 24 Stunden von Le Mans, Foto: Alpine

Alpine bester Neueinsteiger in der WEC

Es kann aber auch anders laufen, wie die Crew des zweiten Alpine A424 mit der Startnummer #35 bewiesen hat: Obwohl Stammfahrer Ferdinand Habsburg zwischenzeitlich verletzungsbedingt durch Jules Gounon ersetzt werden musste, errang das #35-Auto bislang elf WM-Punkte. Charles Milesi und Paul-Loup Chatin belegen den 15. Platz in der Tabelle, der Rückstand auf das Porsche-Trio Andre Lotterer/Laurens Vanthoor/Kevin Estre beträgt 88 Zähler.

In der Herstellerwertung rangiert Alpine als bester WEC-Neueinsteiger auf dem vierten Platz hinter Porsche, Ferrari und Toyota. Mehrfach schrammten Schumacher, Lapierre und Vaxiviere nur knapp daran vorbei, selbst Punkte beizusteuern: In Katar belegte der #36 Alpine den elften Platz, in Spa fehlten mit P12 nur zwei Positionen zu einem Punkteerfolg. Nur in Imola (P15 und P17) sowie zuletzt in Le Mans (Doppel-DNF) gingen beide Alpine-Crews leer aus.

In den Qualifyings hatte der #35 Alpine bislang im Schnitt die Oberhand, wobei Schumacher nur in Spa selbst auf Zeitenjagd gehen durfte und mit Startplatz 11 das bis dato beste Ergebnis des #36-Trios einfuhr. Ein stehendes Rad und daraus folgender, leichter Bremsplatten verhinderten womöglich den ersten Einzug ins Hyperpole-Qualifying der schnellsten Acht. Dem Schwesterauto gelang dieses Kunststück im Starterfeld der 19 Hypercars (23 in Le Mans) bereits zweimal.

Mick Schumacher unter besonderer Beobachtung

Schumacher steht als einer von wenigen deutschen Hypercar-Fahrern und wegen seines berühmten Nachnamens hierzulande unter besonderer Beobachtung. Daran hat sich auch im Team-Sport auf der Langstrecke nichts geändert, wenngleich es schwieriger ist als im Formelsport, Einzelleistungen herauszufiltern. Nach vier von acht WEC-Saisonrennen lässt sich unterm Strich sagen: Schumacher schlägt sich in seinem ersten Jahr auf der Langstrecke in einem ihm zuvor unbekannten Format auffallend gut.

Bei den 24 Stunden von Le Mans fuhr Schumacher zwei Stints und absolvierte 33 der insgesamt 88 Runden auf dem #36-Alpine. Seine Bestzeit (3:30.577 Minuten, Topspeed 340,19 km/h) war einmal mehr die schnellste aller sechs Alpine-Fahrer. Im Schnitt war er rund eine halbe Sekunde schneller als sein erfahrener Teamkollege Lapierre. Als einziger Pilot des Sextetts kannte Schumacher den 13,626 Kilometer langen Circuit de la Sarthe nur aus den vorangegangenen Trainings sowie von einem offiziellen Testtag.

"Egal ist mir das nicht", sagte Schumacher zuvor in Spa im Interview mit Motorsport-Magazin.com. "Ich will der Schnellste sein, das ist mein Ziel." Speziell auf die 24h Le Mans freute er sich bei unserem Gespräch in Belgien, "weil das die einzige Strecke ist, die ich noch nicht kenne. Da kann ich sehen, wie schnell meine Teamkollegen auf einer ihnen bekannten Strecke sind, und wie schnell ich mich an diese neue Situation gewöhnen kann".

Schon beim WEC-Saisonauftakt in Katar Anfang März gelang Schumacher die schnellste Rundenzeit des Alpine-Sextetts. Und auf dem Formel-1-Kurs von Spa-Francorchamps zählte der Rennfahrersohn mit seinen durchschnittlichen Rundenzeiten zu den Top-15 der schnellsten Piloten im Feld der 48 Hypercar-Fahrer. Von Anpassungsproblemen war bei Schumacher, der zuvor ausschließlich Formelwagen fuhr, von Beginn an nichts zu spüren.

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Mick Schumacher mit seinen Teamkollegen Matthieu Vaxiviere und Nicolas Lapierre, Foto: Alpine

"Schumacher kam mit der nötigen Demut in den Langstreckensport"

"Er kam mit einer offenen Einstellung und der nötigen Demut in den Langstreckensport", sagte Alpine-Signatech-Teamchef Philippe Sinault auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com in Le Mans. "Nicolas und Matthieu unterstützen ihn - und Mick ist ein guter Schüler. Sein Level ist heute ziemlich beeindruckend." Ähnliches Lob gab es in den vergangenen Wochen auch von Bruno Famin, der Alpines Formel-1- und WEC-Programme verantwortet.

Den LMDh-Rennwagen mit einheitlichem Hybridsystem an der Hinterachse bezeichnet Schumacher nicht unbedingt als fahrerische Herausforderung. "Das ginge wahrscheinlich zu weit", meinte er selbstbewusst. "Ich betrachte es als eine andere Herausforderung in dem Sinne, dass ich mich als Fahrer an etwas Neues gewöhnen muss. Bisher hat das gut funktioniert." Sein Eindruck von den Hypercars nach zuvor zwei Jahren in der Formel 1 zusammengefasst: zu wenig Downforce, zu viel Gewicht.

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Fan-Magnet in der WEC: Alpine-Pilot Mick Schumacher, Foto: Alpine

Schumacher visiert Formel-1-Rückkehr an

Die größere Herausforderung bildete der Umgang mit dem gemischten Verkehr und Autos mit stark unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Beim ersten Rennen in Katar wurde es einmal eng zwischen Schumacher und einem Ford Mustang GT3, danach fiel er in dieser Hinsicht nicht mehr auf. In Le Mans, wo einmalig die LMP2 ins Starterfeld zurückkehrten und es mit 62 Autos auf der Strecke zuweilen eng werden konnte, ließ er sich in seinen Stints nichts zu schaden kommen.

Mit seinen bisherigen Leistungen könnte Schumacher wohl schnell zu den Stars der Langstrecke avancieren, aber es gibt einen kleinen Haken: Mick will unbedingt zurück in die Formel 1. Das Jahr in der WEC betrachtet Schumacher ganz offenbar als ein Übergangsjahr, um seine Rennschärfe zu behalten, weiter dazulernen und sich auf internationaler Bühne - nicht zuletzt bei Alpine - präsentieren zu können. Sollte das nicht gelingen, würden ihn die meisten Hypercar-Teams wohl mit Kusshand nehmen.