Im engen DTM-Titelkampf werden die harten Bandagen ausgepackt und alle guten Vorsätze über Bord geworfen. Hatte der Promoter ADAC gehofft, dass das leidige Dauerthema namens Balance of Performance nicht Überhand nehmen würde, ging es am Samstag in Spielberg praktisch um nichts anderes mehr. Gäbe es eine Meisterschaft für BoP-Beschwerden, wären fast alle Teams Gewinner...
Sogar Mirko Bortolotti (SSR-Lamborghini), der mit seinem ersten Saisonsieg die Führung in der Meisterschaft von Kelvin van der Linde (Abt-Audi) nach dessen achtem Platz zurückerobert hat, haderte mit der Einstufung. "Nur weil wir gewonnen haben, bedeutet das nicht, dass unsere Performance die beste war", meinte der in Wien lebende Italiener. Und: "Es ist kein Geheimnis, dass unsere direkten Gegner mehr Power bekommen haben. Bei uns blieb alles gleich."
Bortolotti meinte schon nach dem morgendlichen Qualifying auf abtrocknender Strecke, das er auf dem vierten Platz beendet hatte: "Ich habe mich über die Bedingungen gefreut. Im Trockenen hätten wir keine Chance gehabt, wenn die anderen ihr Potenzial hätten ausschöpfen können."
Kelvin van der Linde: "Da kann ich echt nur lachen"
Worte, denen Titelgegner Kelvin van der Linde nur wenig abgewinnen konnte. Der Abt-Pilot legte nach einem verpatzten Qualifying und Startplatz 18 auch dank einiger Schützenhilfe eine Aufholjagd hin und machte zehn Positionen gut. P8 sei das absolute Maximum gewesen. "Ich finde es lustig, dass er (Bortolotti) sich über die BoP beschwert", sagte van der Linde zu Motorsport-Magazin.com. "Er ist wahrscheinlich der Meinung, dass er uns allen mit 20 Sekunden um die Ohren fahren muss."
"Da kann ich echt nur lachen", fügte van der Linde an und schaute in Richtung der Konkurrenz: "Die Mercedes und Lambos fahren seit den letzten sechs Wochenenden um die Top-5 oder Top-8. Bei den letzten vier Rennwochenenden, die nicht nass waren, waren wir am Samstag komplett am Arsch. Bei uns gibt es keine Konstanz, das ist eine Frechheit. Entweder fahren wir um den Sieg, oder wir fahren im Nirgendwo. Ich würde gerne in jedem Rennen mitfahren können."
Ganz so dramatisch war es nicht: Van der Linde landete in zehn der 13 Saisonrennen in den Top-8 und sammelte dabei fünf Podien inklusive zweier Siege. Seine Titelrivalen Bortolotti und Maro Engel (Winward-Mercedes) schafften es sechs respektive siebenmal aufs Podest. Bortolotti hatte das Rennen auf halbnasser Piste vom vierten Startplatz aufgenommen und erstmals in Runde 8 die Führung übernommen. Bis zu den Boxenstopps erarbeitete er sich einen gigantischen Vorsprung von 6,7 Sekunden auf den Zweitplatzierten Engel. Der AMG-Pilot konnte die Lücke im zweiten Stint bis auf 1,1 Sekunden zufahren.
Engel räumte ein, dass er beim Start mit einem zu hohen Luftdruck gefahren sei, weil sein Winward-Team mit einem neuerlichen Regenschauer kalkulierte. Ganz anders bei Bortolotti und SSR-Lamborghini, die auf geringe Reifendrücke in den Pirelli-Pneus setzten und den Vorteil des höheren Grip-Niveaus im ersten Stint voll ausspielen konnten.
SSR-Boss Schlund: Keine BoP-Wertung - "War ein Luftdruck-Rennen"
"Das war heute ein Luftdruck-Rennen", sagte SSR Performance-Teambesitzer Stefan Schlund zu Motorsport-Magazin.com. "Wir haben durch den richtigen Luftdruck der Ingenieure gewonnen, sowohl im Regen als auch mit Slicks. Das war keine Dominanz durch Motorleistung. Jeder, der Engineering lesen kann, wird das auch so sehen. Sonst fährst du nicht solche Abstände heraus. Es war auch ein Stück weit Glück. Wenn es wieder geregnet hätte, wären wir mit dem Druck völlig falsch gelegen."
Eine Bewertung der Balance of Performance wollte Schlund unterdessen nicht abgeben, während einige Konkurrenten den Lamborghini Huracan und den Mercedes-AMG GT3 als zu stark eingestuft empfanden. Schlund: "Wenn man sich den Topspeed anschaut, waren wir nicht die Stärksten. Ich wünsche mir am Sonntag ein trockenes Qualifying und ein trockenes Rennen. Dann haben sie (BoP-Dienstleister SRO; d. Red.) die Daten, um vielleicht fürs Finale noch mal zu justieren."
Fakt ist aber auch, trotz kniffliger Witterungsbedingungen: Im Qualifying fuhren ausschließlich Mercedes- und Lamborghini-Piloten in die Top-8, angeführt vom Inder Arjun Maini (HRT-Mercedes), der seine erste DTM-Pole erzielte. Später im Rennen landeten drei Mercedes-AMG GT3 und zwei Lambos in den Top-7. Im Rahmenprogramm beim ADAC GT Masters gelang Mercedes-AMG sogar ein Fünffach-Sieg.
Engel: Bortolotti hat Rennen kontrolliert - Der kontert: Schön wär's
Während Bortolotti versicherte, dass er im zweiten Stint auf Slick-Reifen "in jeder Runde Qualifying-Runden" fahren musste, um Verfolger Engel auf Abstand zu halten, sah der Mercedes-Pilot das etwas anders. "Wir müssen happy sein, dass sie (Lamborghini) keine BoP haben, die ihnen liegt", sagte Engel mit leichter Ironie in der Stimme während der Sieger-Pressekonferenz.
Bei Motorsport-Magazin.com fügte Engel an: "Obwohl ich am Ende alle Kerbs mitgenommen habe, ist er (Bortolotti) auf seiner Linie geblieben. Er hat das Ganze kontrolliert." "Schön wär's", entgegnete der Lambo-Werksfahrer später.
Abt-Leiter Tomczyk: "Habe heute keinen fairen Kampf gesehen"
Aus Sicht von Abt Sportsline muss das wie ein Luxus-Problem klingen. Der Red Bull Ring gilt ohnehin als Angststrecke für den Audi R8 LMS GT3, doch Mercedes-AMG und Lamborghini seien "für uns in keinster Weise ein Gegner gewesen", meinte Abt-Motorsportdirektor Martin Tomczyk.
Der frühere DTM-Champion weiter zu Motorsport-Magazin.com. "Für uns war das maximale Schadensbegrenzung. "Ich will nur einen fairen und tollen Kampf auf der Strecke haben, einen gleichberechtigten Kampf. Den habe ich heute nicht gesehen. Im Qualifying und auch im Rennen haben wir nur zwei Hersteller vorne gesehen. Ich möchte einfach, dass Fairness gegeben ist. Und das nicht immer erst am Sonntag (nach einer BoP-Änderung; d. Red.). Am Sachsenring war es so, in Zandvoort auch, das ist ärgerlich."
Schubert-BMW-Chef völlig frustriert über BoP
Den wohl größten BoP-Frust im Fahrerlager schob aber Schubert-BMW-Chef Torsten Schubert. Auf der eigentlichen Paradestrecke gingen Rene Rast, Marco Wittmann und Sheldon van der Linde baden, Rast war mit Platz neun der Bestplatzierte des Trios. "Für mich ist es unerklärlich, wie man sowas berechnen kann", sagte Schubert zu Motorsport-Magazin.com. "Unsere Simulationen haben genau das vorhergesagt. Das ist nicht nachvollziehbar. Bei vollem Regen wäre es noch schlimmer, dann fahren uns die Audi auch noch um die Ohren und wir sind Letzter."
Schubert, der 2022 mit Sheldon van der Linde den Fahrer- und Teamtitel in der DTM gewann: "Wir haben kein einziges Rennen aus eigener Kraft gewonnen, immer nur mit Taktik und Fehlern der anderen. Wir müssen schauen, dass wir den Stellenwert der Serie nach vorne bringen, und da müssen auch mal mehr Marken Erfolg haben. Man hätte uns wenigstens hier leben lassen können. Vielleicht ist es nicht gewollt, dass auch wir in der Meisterschaft mitkämpfen können. Und wenn nicht hier, wo dann?"
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