Pedro Acosta war immer der Nächste - der nächste Valentino Rossi, der nächste Marc Marquez. Mit derartigen Vergleichen wurde er bombardiert, seit er 2021 im Alter von nur 16 Jahren und noch mit Zahnspange ausgestattet die große Bühne der Motorrad-Weltmeisterschaft betrat. Und Acosta tat wenig, um derartige Vergleiche verschwinden zu lassen. In seinem ersten Moto3-Rennen verpasste er den Sieg um nur 42 Tausendstelsekunden. Eine Woche später gewann er in Katar nach Start aus der Boxengasse, auch die folgenden beiden Grands Prix gingen an Acosta. Das Ergebnis: Weltmeister als Rookie.
In dieser Tonart ging es nach dem Aufstieg in die Moto2 weiter. Auf drei Siege im ersten Jahr ließ er 2023 den souverän eingefahrenen WM-Titel folgen. Mit diesem Durchmarsch durch die kleinen Klassen sorgte Acosta für reichlich Sorgenfalten bei KTM, wo man den 'Hai von Mazarron' eigentlich erst für 2025 in der Königsklasse eingeplant hatte und nun kurzfristig Pol Espargaro trotz gültigem Vertrag in die zweite Reihe und in die Rolle als Testfahrer versetzen musste. Eine unangenehme Maßnahme für KTM, die sich aber als sportlicher Volltreffer herausstellen sollte.

Beeindruckende MotoGP-Debütsaison von Pedro Acosta
Denn ziemlich genau ein Jahr später braucht der Name Pedro Acosta keine Zusätze à la der nächste Marquez oder der nächste Rossi. Seine Rookie-Saison in der Königsklasse spricht für sich. In seinen ersten 20 MotoGP-Rennwochenenden fuhr Acosta in Sprints und Grands Prix insgesamt neunmal auf das Podium. In Motegi war er im Sprint sogar nur etwas mehr als drei Runden davon entfernt, erstmals in der Königsklasse ganz oben zu stehen. In der Weltmeisterschaft musste sich der Neuling einzig den übermächtigen Ducatisti Jorge Martin, Francesco Bagnaia, Marc Marquez und Enea Bastianini sowie hauchdünn der langjährigen KTM-Speerspitze Brad Binder geschlagen geben - nur zwei Punkte trennten die beiden Markenkollegen zum Jahresende. "Für einen Rookie fährt er eine fast perfekte Saison", lobte Tech3-Teamchef Herve Poncharal seinen Schützling folgerichtig in höchsten Tönen. "Das Leistungsniveau in dieser Klasse ist momentan so hoch und alle Fahrer liegen so eng zusammen - da sind seine Leistungen einfach nur als fantastisch einzustufen."
Acosta wurde in der laufenden Saison aber nicht nur durch seine Ergebnisse zu einer wichtigen Aktie für seinen Arbeitgeber KTM, sondern brachte sich auch - für einen Rookie in der unglaublich komplexen MotoGP unüblich - direkt in die Weiterentwicklung der RC16 ein. Während seine Fahrerkollegen die Sommerpause zur Erholung nutzten, begab sich Acosta in die Firmenzentrale nach Oberösterreich, verschaffte sich dort einige Tage lang einen Einblick in die Arbeit der Ingenieure und tauschte mit ihnen sowie der Management-Ebene Ideen aus, die nach einem zwischenzeitlichen Tief zu beträchtlichen Fortschritten im Laufe der zweiten Saisonhälfte führten. "Neben seinem Speed und seiner Konstanz ist sein Feedback der Teil von Pedros Arbeit, der mich am meisten beeindruckt", erklärt Tech3-Teamchef Poncharal. "Seine Anregungen sind jetzt schon eine große Hilfe in der Weiterentwicklung und auch extrem wichtig für die Crew, um das richtige Setup am Motorrad zu finden."

Acostas Bedeutung für die Weiterentwicklung der RC16 unterstreicht auch KTM-Motorsportchef Pit Beirer im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin: "In der Vergangenheit war Brad Binder oft unser einsamer Leuchtturm und es war weder für ihn, noch für uns, noch für sonst irgendwen klar, inwiefern das auf den Fahrer oder das Motorrad zurückzuführen ist. Jetzt haben wir einen zweiten Piloten, der top performt. Dann ist es viel leichter zu analysieren, wo die Schwachstellen liegen und wo wir nachlegen müssen. Das macht uns also definitiv noch um einiges stärker und hilft uns, weiter an Fahrt aufzunehmen!"
Erster MotoGP-Sieg von Pedro Acosta nur eine Frage der Zeit?
Im Japan-Grand-Prix wäre es KTM und Acosta bereits fast gelungen, Branchenprimus Ducati abzufangen. Zuletzt stand im Sprint von Barcelona Ende Mai mit Aprilia-Mann Aleix Espargaro ein Nicht-Ducati-Pilot ganz oben. Seither ist die Armada von Mastermind Gigi Dall'Igna in Sprints und Grands Prix 29-mal in Serie ungeschlagen. Motegi hätte das Ende dieses Erfolgslaufes sein können - Acosta holte Startplatz eins und machte sich damit im Alter von 20 Jahren und 133 Tagen zum jüngsten Polesitter der Geschichte hinter Marc Marquez und Fabio Quartararo, denen das noch einmal 71 beziehungsweise 119 Tage früher gelang. Seine Pole Position konnte Acosta aber nicht umsetzen und stürzte als Führender im Sprint und als Zweiter im Grand Prix - der erste Totalausfall am 16. Rennwochenende in der MotoGP. Statt der Erlösung für Acosta und KTM gab es so Sieben- beziehungsweise Vierfachsiege für Ducati.
Und doch ist Acosta optimistisch, mit seiner RC16 schon bald den MotoGP-Thron besteigen zu können. Von seinen beiden Stürzen sichtlich gezeichnet, aber nicht gebrochen, richtete er am Sonntagabend eine Kampfansage in Richtung Borgo Panigale: "Wir wissen, dass wir noch nicht ganz auf dem Level von Ducati sind, aber wir sind seit diesem Wochenende wieder einen Schritt näher dran. Wir haben gesehen, dass es nicht unmöglich ist, dieses Niveau zu erreichen. Ducati ist nicht unantastbar - nicht unbesiegbar. Es ist ein Prozess. Wir werden sie weiterhin vor uns hertreiben."
Pedro Acosta im Exklusiv-Interview:
Wie das genau gelingen soll, welche Rolle sein Mentor Aki Ajo dabei spielen wird und ob die MotoGP schon 2025 mit dem ganz großen Coup für Acosta rechnen kann, hat er uns in einem ausführlichen Gespräch in Japan verraten.
Motorsport-Magazin: Pedro, ich bin Österreicher. Klarerweise rede ich deshalb mit vielen KTM-Fans. Und sie sagen mir alle dasselbe: "Pedro ist der Wahnsinn! Er wird KTM auch in der MotoGP ganz an die Spitze bringen!" Wie fühlt sich das für dich an, schon in deiner Rookie-Saison zur großen Hoffnung eines Herstellers zu werden?
PEDRO ACOSTA: Ich hoffe zuallererst einmal, dass ich diese großen Erwartungen erfüllen kann. Es ist auf jeden Fall unglaublich schön, so viel Unterstützung aus Österreich und generell aus diesem Teil Europas zu erhalten. Am Rennwochenende in Spielberg treiben uns die Fans so richtig an. Das ist genial.
Viel Aufmerksamkeit und viel Unterstützung geht aber natürlich auch immer mit gehörigem Druck einher. Das ist etwas, mit dem du in der Vergangenheit durchaus deine Probleme hattest. Kannst du mittlerweile besser damit umgehen?
Ja, definitiv. Als ich in die Motorrad-Weltmeisterschaft gekommen bin, war ich ja noch extrem jung [Acosta debütierte im Alter von 16 Jahren in der Moto3-Klasse und gewann direkt drei seiner ersten vier Rennen, Anm.]. Plötzlich haben mich die Leute ständig mit Valentino Rossi, Marc Marquez und all diesen großen Namen verglichen. Das war damals alles andere als einfach für mich. Ich habe daraus aber eine Menge gelernt. Ich habe über die Jahre hinweg auch mehr Selbstbewusstsein gewonnen. Deshalb kann ich mit diesen Emotionen jetzt wesentlich besser umgehen.
Diese Reife, die du dir im Alter von nur 20 Jahren schon erarbeitet hast, erkennt man auch an der Position, die du im MotoGP-Projekt von KTM bereits einnimmst. Du hast in der Sommerpause viel Zeit in der Zentrale in Österreich verbracht und den Verantwortlichen dort deine Vorstellungen dargelegt. Wie viel davon wurde deiner Meinung nach umgesetzt?
Wir sind seit dem Aragon-Grand-Prix wieder mehr zu einem Paket zurückgegangen, wie wir es zu Beginn der Saison verwendet haben. Und damit ist uns ein mächtiger Schritt nach vorne gelungen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Testteam mit Dani Pedrosa und Pol Espargaro sowie der Rennabteilung läuft momentan hervorragend und so gelingen uns ständig Fortschritte. Die Grands Prix seither waren jene, in denen ich mich am konkurrenzfähigsten gefühlt habe. Mir sind leider auch ein paar Stürze passiert, aber unser Level ist wirklich gut. Wir kommen immer näher an die Siegerzeit heran und unsere Pace ist sehr zufriedenstellend. Wir sind auf dem richtigen Weg.
In Indonesien hast du mir erzählt, dass du mit dem Motorrad schon sehr zufrieden bist. Du müsstest 'nur noch' von deiner Seite aus sieben Zehntelsekunden pro Runde finden. Ich musste bei dieser Aussage ein wenig schmunzeln, denn sieben Zehntel sind in der modernen MotoGP eine Menge Holz.
Das stimmt.
Und du glaubst dennoch, dass du dich als Fahrer noch so deutlich steigern kannst?
Absolut!
Und wie?
Das Problem ist, dass ich aktuell an den Rennwochenenden noch viel Zeit brauche, um die Strecken mit dem MotoGP-Bike zu verstehen und wir somit nicht fokussiert genug darauf sind, schnell zu sein. Die Erfahrung aus diesem Jahr wird das in der nächsten Saison aber schon viel einfacher machen. Vor uns liegt sicherlich noch ein Stück Arbeit. Wir sind noch nicht an unserem Maximum angekommen und ich bin zuversichtlich, dass wir der Spitze bis zum Ende des Jahres noch näherkommen werden.
Vielleicht in Sepang? Da verfügst du nach dem Shakedown und dem offiziellen Test im Winter ja schon über sechs Tage Erfahrung mit der MotoGP-Maschine.
Ich bin da tatsächlich schon eine Menge Runden gefahren und Sepang ist für uns auch generell eine gute Strecke. Die nächste Saison wird die wirklichen Antworten liefern, aber wir sind wie gesagt auf einem guten Weg.
2025 und 2026 wirst du wieder auf einer KTM sitzen, dann aber im offiziellen Werksteam und nicht mehr bei Tech3. Die großen Champions der vergangenen Jahre sind allesamt in langen Partnerschaften mit einem Hersteller entstanden - Fabio Quartararo bestreitet seine sechste Saison für Yamaha, Francesco Bagnaia ebenfalls seine sechste für Ducati, Marc Marquez war elf Jahre bei Honda. Denkst du, dass so eine langfristige Partnerschaft auch für dich und KTM der Schlüssel zum Erfolg sein werden?
Mein Fall ist da etwas speziell. Bei mir geht es nicht mehr um Verträge oder um geschäftliche Dinge. Stefan Pierer [Geschäftsführer der Pierer Mobility Group mit Marken wie KTM, GasGas oder Husqvarna, Anm.], Pit Beirer und all diese Menschen sind meine Familie in diesem Paddock. Seit ich 14 Jahre alt bin, sitze ich durchgehend auf KTM-Motorrädern: Zuerst in der spanischen Meisterschaft und im Red Bull Rookies Cup, dann war ich drei Jahre lang im Ajo-Team in der Moto3 und Moto2, jetzt hier bei Tech3 und dann zwei oder mehr Jahre im Werksteam. So eine Beziehung einfach aufzulösen, ist sehr schwierig. Wir stehen einander so nahe, dass ich da einfach keine Scheiße bauen will.
Mit einem in der Vergangenheit für dich sehr wichtigen Familienmitglied, das zwischenzeitlich etwas aus deinem Umfeld verschwunden ist, gibt es 2025 ein sportliches Wiedersehen. Die Rede ist natürlich von Aki Ajo, deinem ehemaligen Teamchef in der Moto3 und Moto2, der im kommenden Jahr Team-Manager bei KTM in der MotoGP wird. Ist das ein weiterer Teil im Puzzle, das du für die ganz großen Erfolge in der MotoGP zusammensetzen musst?
Meiner Meinung nach gibt es auf jeden Fall keine Person, die besser vorbereitet ist, um unser großes Ziel zu erreichen. Ich meine: Wir sprechen hier vom Gewinn einer MotoGP-Weltmeisterschaft. Das ist eine riesige Sache. Alleine darüber zu sprechen ist schon aufregend. Aki wird alles in seiner Macht Stehende tun, um das möglich zu machen. Er kann dem Rennteam sicher helfen, alle Komponenten richtig zusammenzufügen. Das Potenzial in unserem Projekt definitiv vorhanden, aber wir können es noch nicht vollständig abrufen. Er wird uns dabei helfen, indem er seine Mentalität auch in die MotoGP mitbringen wird.
Das ist eine sehr geradlinige, direkte Mentalität - 'No Bullshit' könnte man auch sagen. Das scheint sich ziemlich gut mit der Herangehensweise bei KTM und auch mit deiner Mentalität zu decken. Ist das für dich wichtig, ähnliche Charaktere in einem Projekt zu haben?
Auf jeden Fall! Wenn es ein Problem gibt, dann muss man nach Lösungen suchen. Manche Leute mögen es nicht, wenn jemand in solchen Situationen sehr direkt ist, denn sie wollen die Wahrheit nicht hören. Dann werfen sie einem vor, man sei arrogant oder was auch immer. Aber wenn du hier deine Rivalen schlagen und etwas gewinnen willst, dann musst du so arbeiten: Direkt sein, nicht nach Ausreden suchen, Lösungen finden. Diese Mentalität vereint uns.
Aus meiner Sicht verbindet dich und KTM nicht nur diese Geradlinigkeit, sondern auch der Mut, eigene Wege zu gehen und nicht nur bereits erfolgreiche Konzepte zu kopieren. Würdest du das unterschreiben?
Grundsätzlich ist es so, dass ich am schnellsten bin, wenn ich nicht allzu viel nachdenke. Wenn das Motorrad einmal nicht bei 100 Prozent war, habe ich eben versucht, meinen Stil daran anzupassen. Das bringt meiner Meinung nach mehr, als beispielsweise ständig irgendwelche kleinen Anpassungen an der Gabel vorzunehmen. Okay, ein Setup kann schon etwas verändern, aber es wird nicht den Unterschied zwischen Platz fünf und dem Sieg ausmachen. Wenn du dann im Spitzenfeld bist, ist der Sieg in Griffweite und es geht um die kleinen Details. Das ist in der modernen MotoGP einfach so. Deshalb konzentrieren wir uns jetzt auf diese kleinen Details, die hoffentlich einen großen Unterschied machen.
Schnelle Rookies, die zu einem echten Erfolgslauf angesetzt haben, gab es in der MotoGP immer wieder. So eine Serie hat dann aber oft mit einem schweren Sturz oder anderen einschneidenden Erlebnissen geendet. Nur die ganz großen Champions haben auch diese Momente weggesteckt und sind stärker daraus hervorgegangen. Denkst du, dass du so eine Härteprüfung schon erlebt hast?
Ich bin in dieser Saison auf jeden Fall bereits ziemlich oft gestürzt, wobei nur die Crashes in Jerez und Spielberg wirklich heftig waren [in Jerez stürzte Acosta im Warm Up in der schnellen Kurve sieben und schlug in den Airfence ein, in Spielberg flog er im 1. Freien Training bei hohem Tempo in der Anfahrt zu Turn 4 ab, Anm.]. Glücklicherweise - und da klopfe ich wirklich auf Holz - sind mir schwere Verletzungen und starke Schmerzen bisher erspart geblieben. Ich habe mich aus solchen Situationen aber auch bestmöglich rausgehalten. Etwas ruhiger unterwegs zu sein, dafür aber nicht zu stürzen, ist manchmal der bessere Weg, um Vertrauen und damit schlussendlich größeren Speed aufzubauen. So kommst du manchmal schneller an dein Ziel, obwohl du auf einem langsameren Niveau beginnst.
Stichwort Ziel: Dein aktueller Teamchef Herve Poncharal ist der Meinung, dass du schon 2025 ein WM-Anwärter in der MotoGP sein wirst. Siehst du das auch so?
Wir haben es jetzt geschafft, konstant in den Top-Five zu landen. Jetzt geht es darum, regelmäßig auf dem Podium zu stehen. Dann können wir über Siege und Weltmeistertitel nachdenken. Natürlich ist das mein Traum, aber wir müssen realistisch bleiben und erkennen, wann der Zeitpunkt dafür gekommen ist.
Viel Erfolg auf diesem Weg und danke für das Gespräch, Pedro.
Ich danke dir.
Dieses ausführliche Interview mit MotoGP-Superrookie Pedro Acosta erschien erstmals in der 99ten Ausgabe unseres Print-Magazins. Wenn ihr auf den Geschmack gekommen seid, dann könnt ihr es hier erwerben. Auch Geschenk-Gutscheine für eure motorradverrückten Freunde oder Verwandten haben wir für euch.
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