Porsche-Werksfahrer Pascal Wehrlein hat am vergangenen Sonntag in den Docklands der englischen Hauptstadt London erneut Motorsport-Geschichte geschrieben und dem TAG Heuer Porsche Formel-E-Team den ersten Triumph in der Elektrorennserie überhaupt beschert. Dank einer fantastischen Team- und Strategieleistung reichte dem 29-jährigen Wahl-Schweizer aus Kreuzlingen im Finalrennen der zweite Platz, um die am Vortag mit seinem dritten Saisonsieg zurückeroberte WM-Führung zu verteidigen.

Der in Sigmaringen geborene Wehrlein, der seit 2020 für Porsche in der Formel-E-Weltmeisterschaft an den Start geht, ist der erste deutsche Formelsport-Weltmeister, seit Nico Rosberg 2016 Formel-1-Champion wurde. Zudem ist der Schwabe der einzige Rennfahrer, der in den weltweit bekannten Rennserien Formel E und DTM beide Titel gewonnen hat – und das mit unterschiedlichen Fahrzeugkonzepten.

Wehrlein war mit seinem Triumph auch maßgeblich daran beteiligt, dass die Werksmannschaft aus Weissach am Ende der fünften Saison in der innovativen Rennserie erstmals den Fahrertitel gewann. Mit dem 99X Electric belegte Porsche in der Herstellertrophäe und Teamwertung jeweils den zweiten Platz hinter Jaguar bzw. dem Team Jaguar TCS Racing. Bemerkenswert: Wie konkurrenzfähig und hart der Zweikampf mit Jaguar war, zeigt die Tatsache, dass Porsche mit den geholten Teampunkten in allen anderen Jahren Weltmeister geworden wäre.

Porsche stellt neuen Formel-E-Siegesrekord auf

Die beiden Premiumhersteller lieferten auf dem einzigartigen, 2080 Meter langen und spektakulären Indoor- und Outdoor Stadtkurs ‚London ExCel Circuit‘, bis zur allerletzten Runde einen erbitterten Zweikampf um die drei vom Automobil-Weltverband FIA ausgeschriebenen Titel.

Pascal Wehrlein (TAG Heuer Porsche Formula E Team)
Porsche und Jaguar lieferten sich 2024 ein Kopf-an-Kopf-Rennen, Foto: LAT Images

Das Porsche-Werksteam stellte dabei mit sieben Saisonsiegen einen neuen Rekord auf, den das Renault-Team e.dams seit der Saison drei der Formel E 2016/2017 mit sechs Erfolgen innehatte. Mit einem weiteren Erfolg von Jake Dennis, der mit dem Porsche-Kundenteam Andretti in Diriyyah siegte, hat der 99X Electric 50% aller Rennen der abgelaufenen Saison gewonnen. Mit insgesamt zwölf Siegen in 74 Rennen seit der Saison 8 hat keines der aktuellen Formel-E-Teams eine bessere Siegquote im Vergleich zu Porsche. Neben Wehrlein mit drei Siegen war dessen Teamkollege Antonio Felix da Costa mit vier Erfolgen (erzielt in fünf Rennen in Berlin, Shanghai und Portland!) der siegreichste Fahrer in der Formel-E-Jubiläumssaison, dem zehnten Jahr seit 2014.

„Das war ein sensationeller letzter Renntag der Saison zehn mit der Krönung von Pascal zum Weltmeister. Es ist der erste Titel für Porsche in der Formel E und ein extrem wichtiger Meilenstein“, wird Florian Modlinger, Gesamtprojektleiter der FIA Formel E in einer Porsche-Pressemittelung zitiert. Die komplett konzentrierte Leistung des gesamten Teams hätte dieses sensationelle Ergebnis erst ermöglicht, „dazu natürlich Pascal, der das ganze Rennen über sehr viel Druck auf seine Titelkonkurrenten ausgeübt hat. Wir können stolz sein auf unsere Erfolge in dieser Saison. Stolz auf Pascal, auf die Mannschaft an der Rennstrecke und auf unser Entwicklungsteam in Weissach – an alle geht mein größter Dank!“

Formel E 2024: Fahrerwertung

Pos.FahrerTeamPunkte
1Pascal Wehrlein (Kreuzlingen)Porsche198
2Mitch Evans (Neuseeland)Jaguar192
3Nick Cassidy (Neuseeland)Jaguar176
6Antonio Felix da Costa (Portugal)Porsche134
7Jake Dennis (Großbritannien)Andretti-Porsche122
14Norman Nato (FrankreichAndretti-Porsche47

Formel E 2024: Teamwertung

Pos.TeamPunkte
1Jaguar TCS Racing368
2TAG Heuer Porsche Formel-E-Team332
4Andretti Formula E169

Formel E 2024: Herstellertrophäe

Pos.HerstellerPunkte
1Jaguar455
2Porsche451
3Nissan273

Exklusiv-Interview mit dem neuen Formel-E-Weltmeister Pascal Wehrlein

Pascal, Gratulation von der gesamten Redaktion des Motorsport Magazins zum Titel Fahrer-Weltmeister in der FIA Formel E 2023/2024…
Pascal Wehrlein: Dankeschön.

Bekanntlich hast du 2015 in der DTM als jüngster Pole-Setter, Rennsieger und Titelgewinner Geschichte geschrieben. Du bist Formel 1 gefahren und jetzt Weltmeister in der Formel E. Wie ordnest du das persönlich für dich ein?
Pascal Wehrlein: Das ist definitiv mein bisher schönster Erfolg – aus vielen Gründen.

2015 gewann Wehrlein den Titel in der DTM, Foto: Speedpictures
2015 gewann Wehrlein den Titel in der DTM, Foto: Speedpictures

Kannst du uns die nennen?
Pascal Wehrlein: Ja, ich glaube, dass es in der Formel E noch kompetitiver ist als es in der DTM war. In der DTM, klar, hat man drei Hersteller gehabt und es war auch ein schöner Titel. Vielleicht war ich aber noch zu jung (Wehrlein gewann den Titel nur wenige Stunden vor seinem 21. Geburtstag, d. Red.), um den Erfolg richtig genießen zu können. Aber, ja, Weltmeister zu sein und mit Porsche diesen Titel zu holen, ist unglaublich für mich. Heute weiß ich das auch alles mehr zu schätzen, dass die Erfolge nicht von selbst kommen. Vor allem, weil ich ja selber mit dabei war - quasi von Anfang an. Wir haben das Team zusammen aufgebaut, wir haben das Auto Jahr zu Jahr verbessert. Es fühlt sich einfach an als... dass ich…voll in das Team integriert bin und auch einen großen Anteil an unseren Erfolgen habe. Natürlich hat das ganze Team einen viel größeren Anteil, weil sie die ganze Arbeit machen und das Auto entwickeln. Ich bin im Endeffekt nur der Fahrer, der es auf der Strecke umsetzen muss. Trotzdem bin ich seit Anfang an mit vollem Herzblut dabei und ich hatte immer die Vision, dass wir das zusammen schaffen.

Es fällt auf, dass du im TV, in Pressekonferenz und Medienrunden sehr wohl überlegst, was und wie du es sagst. Dabei nimmst du dir offensichtlich auch die Zeit zum Überlegen, was ist jetzt das Richtige, was ich sage…
Pascal Wehrlein: Ja, absolut. Ich würde aber nicht sagen, dass ich überlege, was ich antworte. Ich meine es wirklich so und ich überlege, wie ich es am besten rüberbringe. Natürlich hat sich in den letzten Jahren in meinem Umfeld und in meinem Leben viel verändert. Und ja. Motorsport ist immer noch so wichtig für mich wie eh und je. Aber es gibt noch was Wichtigeres (die Gründung einer Familie, d. Red.) und das war früher eben nicht der Fall. Ich glaube einfach, dass ich den Moment genießen muss. Ich bin auch nicht derjenige, der zu viel drüber nachdenkt.

Porsche kam hier auf diesem engen Stadtkurs bisher nicht gut zurecht. Konntest du diese Tatsache ausblenden, wie war die Herangehensweise?
Pascal Wehrlein: Es war klar, was wir machen müssen, nämlich idealerweise zweimal zu gewinnen. Ich bin hierhergekommen und habe gesagt, ich will zweimal gewinnen, so bin ich auch die beiden Rennen angegangen. Ich glaube, das hat man auch gesehen. Es war so, dass ich nicht viel über Punkte in der Meisterschaft nachgedacht habe, sondern eher über das ALLES oder NICHTS. Für uns lief einfach alles rund. Das wird nicht für immer so sein, deswegen muss man jetzt genießen, was man hat.

Hand aufs Herz, wann hast du das erste Mal daran geglaubt, dass du den Titel gewinnen kannst?
Pascal Wehrlein: Vor dem ersten Rennen!

Wie bitte, das ist wirklich interessant, was du sagst, denn im Vorfeld des WM-Finales hieß es, dass Porsche in London nicht unbedingt als Favorit anreist. Warum hast du trotzdem daran geglaubt, dass ihr hier den Titel gewinnen könnt?
Pascal Wehrlein: Das nennt man manifestieren!

Pascal Wehrlein (TAG Heuer Porsche Formula E Team) ist der neue Forme-E-Champion 2024
Wehrlein hat das Ziel WM-Titel in der Formel E erreicht, Foto: LAT Images

Also habt ihr euch im Prinzip zuvor schon eingeschworen?
Pascal Wehrlein: Ja.

Lag das an der guten Vorbereitung, Simulatorarbeit, oder etwas anderem?
Pascal Wehrlein: Nachdem ich aus Portland (vorletzter Event, d. Red.) abgereist bin und auf Platz drei nur zwölf Punkte Rückstand auf Nick (Cassidy, d. Red.) hatte, war mir klar, dass alles selbst in unseren Händen liegt. Wenn man Dinge im Kopf sehen kann, dann passieren sie auch meistens.

Wo hast du trotz Punkterückstand diese Stärke hergenommen?
Pascal Wehrlein: Vielleicht durchs Erwachsenwerden!

Nick Cassidy im Jaguar
Nick Cassidy musste die Titelhoffnungen nach einer Kollision mit Wehrlein-Teamkollege Felix da Costa begraben, Foto: LAT Images

Wusstest du, was hinter dir passiert ist, also die Kollision deines Teamkollegen Antonio mit Nick Cassidy, einem der drei Titelkandidaten?
Pascal Wehrlein: Nein, das wusste ich nicht. Dass Cassidy raus war (aus dem Titelkampf, d. Red.), war mir dann aber zu einem Zeitpunkt irgendwann bekannt. Aber ich musste ja trotzdem vor Evans ankommen, denn wenn er auf Platz eins und ich auf Platz zwei ins Ziel gekommen wäre, wäre das Ding auch gelaufen gewesen. Deswegen hat sich an meiner Situation nichts geändert. Ich musste weiterhin aggressiv sein und habe es auch ein paar Mal versucht. Aber er (Evans, d. Red.) hat über dem Limit verteidigt und wurde dafür auch verwarnt. Wir haben uns sogar berührt und ich auch die Mauer. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Am Ende haben wir es geschafft.

Hat dich das Team über den Fehler von Evans, der einmal den Attack-Mode nicht ausgelöst hat, informiert?
Pascal Wehrlein: Ja.

War dir klar, dass das der entscheidende Moment gewesen ist, dem WM-Titel jetzt zum Greifen nahe gekommen zu sein?
Pascal Wehrlein: Ja, denn ab diesem Moment hatte ich alles im Griff und unter Kontrolle.

Statistiken von Weltmeister Pascal Wehrlein in der Formel E

StatistikAnzahl
Punkte569
Rennen80
Podien12
Rennsiege7
Pole-Positions6
Schnellste Rennrunden4
Saison-Poles3 (Mexiko-Stadt, Sao Paulo, Monte Carlo)
Saison-Siege3 (Mexiko-Stadt, Misano, London)

Wehrlein lag in dieser Saison siebenmal bei insgesamt 16 Rennen an der Tabellenspitze, nämlich nach den Rennen 1, 2, 5, 7, 8, 15 sowie dem 16. und letzten.

Der Porsche-Werksfahrer ist nach Nelson Piquet jr. (2015), Sebastien Buemi (2016), Lucas di Grassi (2017), Jean-Eric Vergne (2018 und 2019), Antonio Felix da Costa (2020), Nyck de Vries (2021), Stoffel Vandoorne (2022) und Jake Dennis (2023) der insgesamt neunte Fahrer in der zehnjährigen Geschichte der Elektrorennserie, der mindestens einen Titelgewinn feiern konnte.